Cambridge

Cambridge hatte zu der Zeit, als Marlowe dort eintraf etwa 5.000 Einwohner, wovon über 1.800 Lehrer oder Studenten an der Universität waren.1
Das Corpus Christi College war das erste mittelalterliche College in England, das nicht von einem Herrscher oder einer wichtigen Persönlichkeit gegründet wurde, sondern von der Gilde St. Mary, der sich im 14. Jahrhundert die Corpus Christi Gilde anschloss. 1352 erfolgte die Grundsteinlegung für das "College of Corpus Christi and of the Blessed Virgin Mary". Erstmals wurde hier von vornherein ein institutionelles Gebäude als geschlossenes Viereck geplant. Die ersten erhaltenen Statuten des Colleges von 1356, sahen vor, dass alle Studenten die Weihen nehmen und sich den Studien des kanonischen Rechts sowie der Theologie widmen sollten.

Im Jahre 1544 wurde Matthew Parker, einst Student des Corpus Christi, Master des Colleges. Er brachte die Finanzen in Ordnung, rief sechs neue Stipendien ins Leben, überarbeitete die Statuten, ließ für das College ein neues Wappen anfertigen, das noch heute in Verwendung ist und baute die Bibliothek weiter aus. Auch als er bereits Erzbischof von Canterbury war, organisierte weiter Stipendien und sammelte rare Bücher, die der Bibliothek zu Gute kamen. Mit seinem Tod 1575 verlor Corpus Christi einen seiner größten Förderer. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sah sich das College nicht nur mit religiösen Unruhen innerhalb der Führung konfrontiert, sondern darüber hinaus auch mit einer steigenden Zahl an Studenten. Waren 1564 gerade mal zweiunddreißig an der Zahl gewesen, waren es zehn Jahre später schon über neunzig. Dies führte zu größeren Umbauten, die das College bis zur Jahrhundertwende in finanzielle Schwierigkeiten brachten.2

Zwar gab es genaue Statuten nach denen das universitäre Leben ablief, an die man sich aber schon lange nicht mehr hielt. Von den vorgeschriebenen Jahren blieben die meisten Studenten nur knapp über drei. Die Ausbildung sollte Rhetorik, Logik und Philosophie umfassen, wofür eine Standardliteraturliste vorgeschlagen wurde: Quintilian, Hermogenes, Cicero, Aristoteles, Plinius und Plato. Darüber hinaus sollten die Studenten ihr Wissen mit der Hilfe von Tutoren und Büchern erarbeiten, wobei Beschäftigung mit der Theologie, Bibelstudium und das Lauschen von Predigten die Ausbildung vervollständigen sollten. Seit einiger Zeit bereicherten regelmäßige Dramenaufführungen diesen Lehrplan.3 Im Prinzip blieb man den Autoren verhaftete, die schon im Mittelalter gelesen wurden. Neben Vergil war Seneca sehr beliebt, da er sich für moralische Interpretationen exzellent eignete. Ebenso verhielt es sich mit den Satiren und Episteln des Horaz, während seine Epen und Oden ähnliche Probleme aufwarfen wie die sittlich fragwürdigen Werke Ovids. Cicero diente als Vorbild in der Rhetorik, im Briefstil und beim Verfassen juristischer Dokumente. Griechische Autoren wurden bis ins fünfzehnte Jahrhundert kaum gelesen. In Cambridge erfolgte Marlowes Bekanntschaft mit den Werken von Ramée.4 Das Corpus Christ’s College galt seit 1570 als ein Zentrum des Ramismus.5 Ungleich Oxford war Cambridge in den späten 1580er Jahren der Kampfplatz für Calvinisten und ihre Gegner. Als Marlowe in die Universitätsstadt kam, hatte sich William Perkins bereits einen Namen als Prediger gemacht. Er war Anhänger der zweifachen Prädestination (Gott entscheidet nicht nur wer auserwählt, sondern auch wer verdammt ist.) und vertrat die logischen Prinzipien von Ramée. Heute sind die heftigen Dispute um scheinbar minimale Unterschiede in der theologischen Auffassung, schwer nachvollziehbar. Im 16. Jahrhundert waren das Fragen von großer Bedeutung, die für viele über ihr Seelenheil im Jenseits entschieden. Es ist kaum vorstellbar, dass Marlowe als Student der Theologie davon unbeeindruckt blieb.6


Bury, Patrick. 2013. A Short History of the College of Corpus Christi and the Blessed Virgin Mary in Cambridge. 3rd ed. Cambridge: Master and Fellows of Corpus Christi College.
Meissner, Paul. 1952. England Im Zeitalter von Humanismus, Renaissance Und Reformation. Heidelberg: Kerle.
Simon, Joan. 1979. Education and Society in Tudor England. Cambridge: Cambridge University Press.

  1. (Urry 1988)↩︎
  2. Bury (2013)↩︎
  3. Urry (1988)↩︎
  4. Meissner (1952)↩︎
  5. Simon (1979)↩︎
  6. Pinciss (1993)↩︎

Aktualisiert am 18.01.2023

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