Stil

Marlowes Gesamtœuvre ist subversiv, radikal und einprägsam. Es reizt die Grenzen der Sprache und der Vorstellungskraft aus. Passend zu den Versen sind die Dramen geprägt von spektakulärer Action, Blutvergießen und Leidenschaft.1 So liegt in seiner Sprache die Betonung auf anschauliche physische Empfindungen und wertvolle, exotische Gegenstände. Eine Vorliebe die gleichfalls in den ungewöhnlichen, mehrsilbigen Begriffe für Personen- wie Ortsnamen erkennbar ist.2 Beides ist Marlowes Ausdrucksmittel für das Machtstreben seiner Figuren,3 wobei er dies beiden Geschlechtern zugesteht, wenngleich mit unterschiedlicher Motivation.

"Where Marlowe’s men tend to seek power for the purpose of determining the destinies of others, those of Marlowe’s women who pursue power more often do so in order that they may determine their own destinies. […] Marlowe allows many women of his female characters to intervene in, and offer resistance to, the male orientated social structures which govern the worlds of his plays."4

Hyperbolische Vergleiche finden sich neben Bildern aus den Klassikern, der Astronomie und der Geografie wieder. Seine Verse sind geprägt von Energie, prächtiger Diktion, sinnlichem Reichtum, Tempovariationen und Anpassungsfähigkeit an die wechselnden Emotionen.5 Immer wieder kommt es zu Beschreibungen von Gegenständlichem, oder wie C. S. Lewis es ausdrückt: "Marlowe is our great master of the material imagination: he writes best about flesh, gold, gem, stone, fire, clothes, water, snow, and air."6 Neben Luxusgegenständen genießen Farben Marlowes Aufmerksamkeit. Er war überhaupt der erste englische Autor, der sie in seinen Werken thematisch verwendete.7 Mythologische Anspielungen setzte er sehr gezielt ein. Helena oder Troja versinnbildlichen die Sehnsucht. Die Vorbilder der Helden sind hingegen Ikarus, Phaeton und Lucifer, die verbotene Grenzen überschreiten und für ihre Vermessenheit bestraft werden.8 Oft deuten die Vergleiche auf die späteren Katastrophen hin: Gaveston verweist auf Leander, der Chor zieht Parallelen zwischen Faustus und Ikarus und Barabas sieht sich als Agamemnon und Abigail als Iphigenie.9

Diese Sprache war notwendig, den Marlowe forderte die Vorstellungskraft seiner Zuseher. Selbst wenn Figuren auf konventionelle Weise sterben, reizen sie die Grenzen des Illusionismus. Es ist schwer nachvollziehbar, wie Olympia sich überzeugend in die Kehle stechen oder die Leichen ihres Mannes und ihrer Söhne in Brand stecken konnte oder wie Zabina und Bajazeth glaubhaft darstellen konnten, ihr Gehirn sei zerschmettert.10

"Seine Charaktere, so unwahrscheinlich sie auch sind, können auf diese Wahrscheinlichkeit verzichten, weil sie dennoch den Atem des Lebens ausströmen. Ihr leidenschaftliches Pathos paßte nur zu gut zu dem Triumph über die Armada, […] und zu dem Stolz auf die Eroberungen in der Ferne, zu all dem, das das Herz des englischen Volkes trunken machte und schwindelig vor triumphaler Kraft. Zusammen mit den Entdeckungen der großen Seefahrer vergrößerten auch diese Figuren auf der Bühne die Grenzen des Möglichen im Geiste der Menschen. Diese Stücke waren ein Hymnus auf die Macht der Waffen, auf die Macht des Wissens und des Reichtums."11

Marlowe nutzte seine szenischen Mittel, um eine Verbindung zwischen dem Schauspieler und dem Publikum herzustellen. So wird das Theater mit der Gesellschaft verbunden. Dies ist Marlowes großer Beitrag zu den Grundlagen der elisabethanischen Dramatik.12 In Doctor Faustus verlangte erstmals ein Monolog einen Schauspieler statt eines Redners. Hier manifestiert sich nicht nur Marlowes Fähigkeit mit seiner Poesie eine dramatische Illusion zu schaffen. Er verdichtet darin außerdem den gesamten tragischen Konflikt und dramatisiert jenen zwischen Mensch und Übermensch, für den Marlowe keine Lösungsmöglichkeit sah. Über Jahre hinweg sollte es im elisabethanischen Drama nichts Vergleichbares zu Faustus Schlussmonolog geben, obwohl es vergeblich versucht wurde, wie etwa Shakespeare in Richard III.13

Die meisten Dramen gratulierten ihrem Publikum, dass es über moralische Standards verfügt, die den Hauptfiguren überlegen sind. Marlowes Charaktere, allen voran Tamburlaine, verlangen von den Zusehern, sich mit den Unzulänglichkeit ihrer konventionellen Vorstellungen auseinanderzusetzen.14

"Cutting himself off from the comforting doctrine of repetition, he writes Plays that spurn and subvert his culture’s metaphysical and ethical certainties. We who have lived after Nietzsche and Flauber [sic!] may find it difficult to grasp how strong, how courageous Marlowe must have been: to write as if the admonitory purpose of literature were a lie, to invent fictions only to create and not to serve God or the state, […]"15

Die Universitätsgelehrten im Londoner Theatermilieu wussten von Terenz und Seneca, dass das Drama eine moralischen Anspruch haben musste. Genau den kann man bei Marlowe nicht finden. So sind auch Robert Greenes Äußerung im Vorwort zu Perimedes nicht als Kritik am Blankvers, sondern am Inhalt des Tamburlaine zu werten.16 Aristoteles bestreitet in der Poetik, dass ein Bösewicht Mitleid und Furcht hervorrufen kann, wodurch er sich automatisch als zentrale Gestalt der Tragödie ausschließt. Mit Barabas widerspricht Marlowe dieser These erfolgreich.17 Auch eine aristotelische Katharsis ist Marlowe völlig fremd. Bei ihm ruft das Schreckliche und das Hässliche eine breite Palette an Reaktionen hervor: Faszination, Erstaunen, Verwunderung, Abscheu und letztlich sogar Lachen. Dem liegt seine Technik zu Grunde, Außergewöhnliches mit Banalem und Logisches mit Absurdem zu verschmelzen.18 Vielleicht fühlte sich das Publikum von Tamburlaine so wie das vierhundert Jahre später von Pulp Fiction. Dabei darf eines nie vergessen werden: Marlowes Sprache ist schön, seine Welt ist es absolut nicht. Sie ist nach über 400 Jahren leider nach wie vor erschreckend realistisch und aktuell.

"Marlowe is relevant because he deals with the real world in all its harshness and cruelty; he is relevant because he comes to terms with hard facts – environment, competition, change. He is relevant because his play describes a world like ours, […]"19


Albert, Edward. 1979. History of English Literature. 5. Ausgabe. London: Harrap.
Carter, Ronald, and John McRae. 2017. The Routledge History of Literature in English: Britain and Ireland. 3. Auflage. London: Taylor and Francis.
Hammerström, Eckart. 1976. Narzisstische Figuren in Elisabethanischen Tragödien. Vol. 55. Salzburg Studies in English Literature Elizabethan and Renaissance Studies. Salzburg: Institut für Englische Sprache und Literatur.
Lewis, C. S. 1957. English Literature in the Sixteenth Century: Excluding Drama. Oxford: Clarendon Press.

  1. Carter and McRae (2017)↩︎
  2. Berek (1982)↩︎
  3. Garber (1977)↩︎
  4. Gibbs (2000), 175-176↩︎
  5. Albert (1979)↩︎
  6. Lewis (1957), 186↩︎
  7. Hillier (1945); Hattaway (1970)↩︎
  8. Garber (1977)↩︎
  9. Goldberg (1992)↩︎
  10. Ashraf (2012)↩︎
  11. Laschitz (1952), 11↩︎
  12. Singh (2018)↩︎
  13. Palmer (1964)↩︎
  14. Berek (1982)↩︎
  15. Greenblatt (1977), 63-64↩︎
  16. Kimborough (1964)↩︎
  17. Hammerström (1976)↩︎
  18. Birringer (1984)↩︎
  19. Jensen (1969), 628↩︎

Aktualisiert am 18.01.2023

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