Thomas Kyd (* ~ 6. November 1558; begraben am 25. August 1594) war der Sohn eines Schreibers. Er erhielt eine gute Schulbildung an der Merchant Taylors' School, besuchte aber keine Universität. Heute weiß man kaum mehr etwas über ihn, doch dürfte er ein in der Theaterszene geläufiger und geschätzter Autor gewesen sein. 1587 trat er in Diensten eines Adeligen, dessen Identität mittlerweile unbekannt ist. Nachdem die sogenannte Dutch Church Libel den Privy Council veranlasst hatte hart durchzugreifen, kam es unter anderem zu Kyds Verhaftung und möglicherweise auch Folter, woran seit Rebekah Owens Artikel jedoch berechtige Zweifel herrschen.1 Vielleicht war man auf ihn aufmerksam geworden, weil er zeitweise als Schreiber arbeitete und nicht, weil er Dramen verfasste.2 Kyd wurde später freigelassen. Er verlor allerdings die Fürsprache seines adeligen Patrons, es gelang ihm keine neue Anstellung zu finden und er verstarb im Sommer 1594. Er gilt heute als Verfasser von The Spanish Tragedy. Während die meisten seiner Werke verloren gegangen sein dürften, ist bei einigen die Zuschreibung umstritten.
Soweit sich rekonstruieren lässt, scheinen Kyds Schwierigkeiten mit der Entdeckung eines dreiblättrigen Manuskripts3 in seinem Besitz begonnen zu haben. Auf der Rückseite des dritten Blatts stehen zwei Vermerke. Der erste stammt vom 22. Mai 1593: "vile hereticall conceiptes denyinge the deity of Jhesus Christe our Saviour found emgst the papers of Thomas Kydd prisoner".4 Der zweite lautet: "which he affirmenth that he had from Marlowe"5, ist in einer anderen Tinte, wahrscheinlich von einem anderen Schreiber, aber sicher zu einem späteren Zeitpunkt verfasst worden.6
Das Manuskript ist Großteils eine Abschrift aus The Fall of the Late Arrian von John Proctor aus dem Jahre 1549.7 Er wollte damit die arianisch beeinflussten Ansichten eines John Assheton widerlegen, der sie dann auch vor Erzbischof Cranmer widerrief. Das Werk war weder verboten, noch galt es als subversive Literatur.8 Der Arianismus selbst stand eindeutig im Widerspruch zur Staatsreligion. Ohne Kenntnis der Quelle und aus dem Zusammenhang gerissen, konnte man den Inhalt damals als häretisch und somit gefährlich betrachten. Ob dieses Manuskript und Kyds Angaben dazu führten, dass Marlowe am 28. Mai 1593 vor dem Privy Council erscheinen musste, lässt sich aufgrund der zeitlichen Nähe vermuten, allerdings nicht belegen.
Darüber hinaus gibt es zwei Briefe, die Kyd nach seiner Verhaftung vermutlich an Sir John Puckering, den Lordsiegelbewahrer, schrieb. Aus dem Text kann mit ziemlicher Sicherheit geschlossen werden, dass Marlowe zu diesem Zeitpunkt bereits tot war.9 Laut Kyd habe Marlowe, als er ihn kennengelernt hat, die Angewohnheit gehabt ihm gegenüber – und wie Kyd hörte auch gegenüber anderen Person – über die Bibel zu lästern, sich über Gebete lustig zu machen und im Streitgespräch die Aussagen von Propheten sowie Heiligen zu widerlegen. So hätte Marlowe bspw. Jesus ein unsittliches Verhältnis mit dem Apostel Johannes unterstellt, den heiligen Paulus als Schwindler bezeichnet und behauptet, jedes Wunder hätte auch von einem Menschen zustande gebracht werden können. Kyd habe sich ob dieser verwerflichen Einstellung von Marlowe distanziert, vergisst aber nicht zu erwähnen, dass Marlowe ihm anvertraut habe, er wolle nach Schottland, wo sich auch Roydon aufhalte.10
Im zweiten Schreiben wehrt sich Kyd gegen den Vorwurf des Atheismus und erklärt, die belastenden Dokumente, die bei ihm gefunden worden seien, gehörten Marlowe und seien mit seinen Manuskripten vermischt worden, als sich beide vor zwei Jahren einen Arbeitsraum geteilt hatten. Doch Marlowe sei nie sein Freund gewesen, denn er war unbeherrscht, grausam und unehrlich. Außerdem verkehrte dieser unreligiöse Mensch mit Leuten wie Roydon, Harriot und Warner.11
Thomas Kyd und Christopher Marlowe – offenbar keine Freunde fürs Leben und ganz sicher keine über den Tod hinaus.
Kyd erwähnt einige Personen, deren tatsächliche Identifikation nicht mehr ganz einfach ist. Bei zwei der Genannten dürfte es sich um Mathew Roydon und Thomas Harriot handeln. Warner könnte William Warner, Walter Warner oder irgendein Warner sein – es war ein häufig vorkommender Name. Abgesehen davon, dass Roydon während der in Frage kommenden Zeit gar nicht in Schottland, sondern in London war12, ist nicht nachvollziehbar, weshalb Kyd meinte, diese Personen hätten einen so üblen Leumund, dass der Umgang mit ihnen als Beweis für Marlowes Schlechtigkeit dienen könnte.
Kyds Aussagen weisen nicht nur inhaltlich auffällige Parallelen zur Baines Note auf. Etliche der Äußerungen, die Marlowe angeblich getätigt haben soll, würden heute schlimmstenfalls dumm und geschmacklos erscheinen, doch im England des ausgehenden 16. Jahrhunderts kamen sie fast einem Todesurteil gleich. Trotzdem teilte Marlowe laut Kyd seine Ansichten jedem mit, den er traf. Kyd war zwar entsetzt, wartete aber noch länger als Richard Baines, bevor er der Obrigkeit Meldung über diesen gefährlichen und verdammenswerten Marlowe machte. Vor allem dank der fehlenden Datierung bietet die Dokumentenlage ausreichend Raum für Spekulationen. Eine Theorie, die von mehreren Kommentatoren vertreten wird, besagt Kyd, der ursprünglich verdächtigt wurde, mit der Dutch Church Libel zu tun zu haben, sah sich plötzlich mit dem viel schwerwiegenderem Vorwurf des Atheismus konfrontiert, weshalb er den bereits toten Christopher Marlowe belastete.13
- Owens (2006)↩︎
- Kuriyama (2002); Owens (2007)↩︎
- BL Harley MS.6848 f.187r-189v↩︎
- BL Harley MS.6848 f.189v↩︎
- BL Harley MS.6848 f.189v↩︎
- Freeman (1973)↩︎
- Briggs (1923)↩︎
- Buckley (1934)↩︎
- Freeman (1973)↩︎
- BL Harley MS.6848 f.154r↩︎
- BL Harley MS.6849 f.218r-219r↩︎
- Nicholl (2002)↩︎
- Seaton (1929); Freeman (1973)↩︎