Im Zuge der Untersuchungen nach der Veröffentlichung der Dutch Church Libel wurde Thomas Kyd verhaftet. Bei der Durchsicht seiner Papiere entdeckte man ein dreiblättriges Manuskript1, mit (vermeintlich) atheistischem Inhalt. Kyd gab an, dieses Dokument würde nicht ihm gehören, sondern Marlowe. Es sei irrtümlich unter seine Papiere geraten, als er und Marlowe sich zwei Jahre zuvor einen Arbeitsraum geteilt hatten.2
Laut William Dinsmore Briggs sind die Seiten in der British Library in falscher Reihenfolge gebunden. Korrigiert ergeben sie eine Abschrift aus The Fall of the Late Arrian von John Proctor aus dem Jahre 1549.3 Er wollte damit die arianisch beeinflussten Ansichten eines John Assheton widerlegen, der sie dann auch vor Erzbischof Cranmer widerrief.4
Die folgende Ausführung ist so knapp wie möglich gehalten und theologisch keinesfalls fundiert. Arius (* ~ 260; † nach 327) lehnte das im Konzil von Nicäa (325) festgelegte Dogma, Gott und Jesus seien wesensgleich, ab. Seiner Auffassung nach widersprach dies dem Monotheismus. Für ihn war Jesus ein Geschöpf Gottes, mit diesem aber nicht identisch, sondern ihm untergeordnet. Im Laufe der Jahrhunderte entstanden unterschiedliche Strömungen, die bekannteste ist wohl der Unitarismus, die die Trinitätslehre (Gott, Jesus und der Heilige Geist sind ein Wesen) und die Göttlichkeit Jesus ablehnte. Sie werden fälschlicherweise unter dem Begriff "Arianismus" zusammengefasst. Der Einfachheit halber wird der Begriff in diesem Sinne auch hier verwendet, selbst wenn er wissenschaftlich nicht korrekt ist.
Proctors Werk war unverdächtig und nicht verboten.5 Warum also brachte ein mehrseitiges Exzerpt daraus Thomas Kyd in derartige Schwierigkeiten und half mit Marlowes Ruf als praktizierenden Atheisten zu verfestigen? Die Gründe dafür sind wie so oft eine Mischung aus Missverständnis, Unwissenheit sowie unreflektiertem Wiederholen.
Arianismus hatte gar nichts mit Atheismus zu tun. Der Geistliche William Burton beschrieb die Arianisten als tiefgläubige Menschen:
"I haue knovven some Arrian heretiques, whose life hath beene most strict amongest men, whose tongues haue beene tyred with scripture upon scripture, their knees euen hardned in prayer, and their faces wedded to sadnesse, and their mouthes full of praises to God, while in the meane time they haue stowtly denied the diuinitie of the Sonne of God, and haue not sticked to teare out of the Bible all such places as made against them;"6
In den Augen der anglikanischen Kirche war der Arianismus eine Form der Häresie und seine Anhänger endeten auf dem Scheiterhaufen, wie Matthew Hamont 1579 oder Francis Kett 1589.
Welche Beamten auch immer mit dem Fall Thomas Kyd und dem besagten Manuskript betraut waren, vermutlich hatten sie wie Kyd selbst keine Ahnung, dass es sich dabei hauptsächlich um eine aus dem Zusammenhang gerissene Abschrift handelte. Kyds Unkenntnis könnte seine Aussage, das Manuskript gehöre ihm gar nicht, bestätigen. Hätte er die Quelle gekannt, wäre es wohl einfacher für ihn gewesen den Verdacht, er würde subversive Gedanken zu Papier bringen, abzuwenden. (Ein gutes Beispiel für die Wichtigkeit von Quellenangaben.) So stellte das Dokument eine Sammlung häretischer Ansichten über die Göttlichkeit Jesus und das Wesen Gottes dar.