Henslowe Diary

Das Tagebuch von Philip Henslowe gilt als eine der wichtigsten zeitgenössischen Informationsquellen für das elisabethanische Theater. Das Buch misst 33,66 x 20,32 Zentimeter und beinhaltete heute 242 Seiten. Ursprünglich gehörte es John Henslowe, der es als Rechnungsbuch für seine Holz- und Minengeschäfte in Ashdown Forest benutzte. John starb vor 1592, worauf das Buch in den Besitz seines Bruders Philip überging. Dieser verwendete es als Geschäfts- und Notizbuch bis 1609. Interessant sind dabei vorrangig die Eintragungen bis 1604, die sich hauptsächlich mit dem Theater befassen. Philip Henslowe starb 1616 und das Buch wechselte zu Edward Alleyn, der Henslowes Stieftochter Joan geheiratet hatte. Alleyn gründete in Dulwich das College of God’s Gift, das sich auch um seine Erbschaft kümmerte. Daher befindet sich das Henslowe Diary noch immer in der dortigen Bibliothek.

Erstmals wurde es für wissenschaftliche Zwecke von Edmond Malone verwendet. Er veröffentlichte 1790 in seinem Historical Account of the English Stage die Teile des Tagebuchs, die ihm relevant erschienen. J. P. Collier brachte die theaterbezogenen Eintragungen 1845 unter dem Titel Henslowe’s Diary heraus. Erst 1902 begann Walter Greg mit einer neuen Edition, der sechs Jahre später eine Kommentarband folgte. Gregs Arbeit wurde in Folge für alle weiteren Ausgaben des Buchs als Grundlage verwendet.

Unter einem "diary" versteht man eigentlich ein Tagebuch, im vorliegenden Fall, sollte man jedoch eher von einem Rechnungsbuch sprechen. Neben einigen privaten Notizen verzeichnete Henslowe hauptsächlich seine Einnahmen und Ausgaben. Er schrieb neben dem Datum das Stück, das gespielt wurde und wie hoch seine Anteile waren. Ihm stand die Hälfte der Einnahmen der Eintrittsgelder der Galerie zu. Manchen Dramen hatte er die Buchstaben "ne" vorangestellt, ohne dass bis heute geklärt ist, was er damit sagen wollte. Am ehesten wird angenommen, er habe damit neue Stücke gekennzeichnet, allerdings waren einige so bezeichnete Dramen nicht wirklich neu, die Einnahmen jedoch manchmal etwas höher. Wahrscheinlich wurden die Eintrittspreise für diese bestimmten Werke hinaufgesetzt.1 Eine andere Möglichkeit wäre, dass solch gekennzeichnete Dramen in einem anderen Theater aufgeführt wurden, weshalb auch die Einnahmen von der Norm abweichen.2 Henslowe konnte sich öfters nicht entscheiden welchem Titel bzw. welcher orthografischen Version er den Vorzug geben sollte. So findet man The Massacre at Paris in acht verschiedenen Schreibweisen, Doctor Faustus gar in vierzehn. Ebenso frei war Henslowes Umgang mit dem Datum. Manchmal scheint es, als habe er die Daten schon vorgeschrieben. Dabei passierten ihm nicht nur einige Fehler, er kam auch mit den dazugehörigen Aufführungen durcheinander. Für den 5. August 1594 sind bspw. zwei Stücke verzeichnet. Das tatsächliche Aufführungsdatum schien demnach, von sekundärer Bedeutung gewesen zu sein. Die Annahme die Dramen seinen tatsächlich alle an den von Henslowe verzeichneten Tagen aufgeführt worden, ist sicher zu relativieren. Schon alleine deshalb, weil es bei ihm 1595 einen 31. April gab! Sogar die Summe, die er eingenommen hat, ist nicht immer eindeutig zu lesen. Alle Daten, die aus den Aufzeichnungen ermittelt wird, unterliegen je nach Leseart, einer gewissen Schwankung.
Zwischen 25. Februar 1592 und 1. Februar 1597 lassen sich die Dramen, die Aufführungsdaten und Henslowes Einnahmen aus dem Diary recht eindeutig ablesen. Danach ist das Datum, aber vor allem die Höhe des Erlöses nicht mehr wirklich erruierbar.

Zwei Dramen Marlowes dürfte Henslowe nie gespielt haben: Dido, Queen of Carthage und Edward II, denn sie werden kein einziges Mal von ihm erwähnt. Kein anderes Stück wurde in dieser Periode so oft gezeigt, wie The Jew of Malta (Insgesamt waren es 36 Aufführungen.) Mit ihm verdiene Henslowe auch das meiste Geld.
Die erste verzeichnete Darbietung von The Massacre at Paris ist die einzige, aller Werke Marlowes, die Henslowe mit dem – bereits erwähnten – "ne" kennzeichnete. Die Einnahme von 74s ist die zweithöchste, die er erzielte. Da die Bedeutung von "ne" noch nicht geklärt ist, lässt sich nicht sagen, ob sich diese Summe auf das Werk an sich, oder auf die Umstände unter denen es gezeigt wurde, bezieht.3 Betreffend der Aufführungszahlen ist der Unterschied zwischen Tamburlaine 1 und Tamburlaine 2 interessant. Mit 15 Vorstellungen ist die Anzahl von Aufführungen des ersten Teils mehr als doppelt so hoch wie die des 2. Teils (7 Vorstellungen). Das resultiert daraus, dass Teil 2 immer nur in Kombination mit Teil 1 gespielt worden ist. Laut der Aufführungsdaten lag zwischen den Vorstellungen maximal ein Tag. Tamburlaine 1 hingegen wurde sehr wohl unabhängig vom zweiten Teil dargeboten. Offenbar wurde Tamburlaine 2 als zu schwach angesehen, um ohne den ersten Teil reüssieren zu können. Eine Tendenz, die im Henslowe Diary bei allen Dramen mit zwei Teilen erkennbar ist.

Henslowe verdient nicht nur an Marlowe, ihn aufzuführen hat auch einiges gekostet. Henslowe musste im Laufe der Zeit vor allem Kostüme zukaufen. 1598 bekam der Schauspieler William Birde Geld, um sich Seidenstrümpfe für The Massacre at Paris zu kaufen. Im Mai 1601 kaufte der Schauspieler Robert Shaw und William Juby Diverses für The Jew of Malta. Bis in den November des selben Jahres wurden immer wieder Rechnungen beim Schneider Redford beglichen, der Kostüme für The Massacre at Paris anfertigte. Insgesamt beliefen sich die Ausgaben auf 15£ 16s und 6p. Außerdem beweisen diese Einträge, dass zumindest zwei Dramen Marlowes auch noch nach dem Jänner 1597 gespielt wurde. Ende Jänner 1601 kaufte Henslowe von Edward Alleyn drei Dramen, darunter The Massacre at Paris, für die stolze Summe von 6 Pfund. Alle diese Werke waren bereits zuvor aufgeführt worden. Es ist unklar, warum Henslowe erneut für sie zahlte. Eventuell hatte Alleyn sie umgearbeitet. Anfang Dezember 1602 erhielten William Birde und Samuel Rowley 4 Pfund für zusätzliche Szenen in Doctor Faustus. Eine Liste mit Theaterkostümen geschrieben von Edward Alleyn auf einem Blatt Papier listet in der zweiten Spalte unter Punkt 17 "faustus Jerkin his clock" auf. Wahrscheinlich handelt es sich um die Weste, die Faustus in seiner letzten Szene trug. Der Eintrag in der dritten Spalte bezüglich The Massacre at Paris ist nicht ganz klar.

"2 silver paynes lact wt carnation satins lact over wt silver
3 the guises
4 Rich payns wt Long stokins"

Es geht nicht hervor, ob sich "the guise” auf Posten Nummer 2 oder Nummer 4 bezieht.

Malone veröffentlichte 1790 in The Plays and Poems of William Shakespeare Band I, Teil 2 auf den Seiten 300 bis 307 eine Inventurliste der Admiral’s Men, die Kostüme, Textbücher, etc. aufzählte. Laut eigenen Angaben fand er sie in einem Bündel loser Blätter im Dulwich College. Mittlerweile ist diese Liste nicht mehr auffindbar. An Malones Angaben wird jedoch kaum gezweifelt, denn geht man von der Rechtschreibung aus, könnte es sich sehr wohl um ein Schriftstück Henslowes handeln.4 Auf der Liste datiert vom 10. März 1598 (Es ist nicht mehr eruierbar welchem Stil diese Datierung folgt.) finden sich folgende Dinge, die für Stücke Marlowes gebraucht wurden.

"Item, ij marchepanes, & the sittie of Rome
Item, viij viserdes; Tamberlyne brydell; j wooden matook
Item; iij tymbrells, j dragon in fostes
Item, j cauderm for the Jewe"

Vermutlich diente "the sittie of Rome”, als Prospekt in Doctor Faustus . Zu Beginn des dritten Akts halten sich Faustus und Mephostophilesin Rom auf. Rätsel allerdings gibt "j dragon in fostes" auf. Das Oxford English Dictionary kennt in der Zeit, in der diese Liste entstanden sein könnte, für "dragon" an die 14 Bedeutungen. Weder im A-, noch im B-Text von Doctor Faustus kommt etwas vor, was einer dieser Bedeutungen entsprechen könnte. Vielleicht hatte Marlowe einen Drachen in seinem Text vorgesehen und er wurde in den späteren Bearbeitungen gestrichen, oder es gab eine spätere Version mit Drachen, die mittlerweile verlorengegangen ist.

Den Schriftsteller Christopher Marlowe erwähnte Henslowe übrigens nie. Der Hinweis auf dem Blatt mit der Nummer 20086 ist eine Fälschung von J. P. Collier.5

In den fast 5 Jahren, die Henslowe die Aufzeichnungen führte, verzeichnete er 752 Aufführungen von 96 verschiedenen Stücken mit einer Gesamteinnahme von 614£ 2s 3p. (Das würde heute sehr grob geschätzt einem Betrag zwischen 200.000 und 220.000 € entsprechen. Es wird nochmals darauf hingewiesen, dass es sich aus bereits erwähnten Gründen nicht um absolut präzise Zahlen handelt.) Davon entfallen etwas mehr als 12 Prozent auf Marlowes Werke. Insgesamt betrachtet mögen Henslowes Aufzeichnungen nicht immer ganz eindeutig zu entschlüsseln sein, doch eines geht klar aus ihnen hervor: "[…] there was Money in Marlowe."6


Frazer, Winifred. 1991. “Henslowe’s ’Ne’.” Notes and Queries 38: 34–35. https://doi.org/10.1093/nq/38.1.34.
Henslowe, Philip. 1961. Henslowe’s Diary: Edited with Supplementary Material, Introduction, and Notes. Cambridge: Cambridge University Press.

  1. Henslowe (1961)↩︎
  2. Frazer (1991)↩︎
  3. Frazer (1991)↩︎
  4. Henslowe (1961)↩︎
  5. Henslowe (1961)↩︎
  6. Healy (1994), 18↩︎

Aktualisiert am 18.01.2023

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