The troublesome raigne and lamentable death of Edward the second, king of England: with the tragicall fall of proud Mortimer (Die schreckensreiche Regentschaft und der beklagenswerte Tod von Edward dem Zweiten, König von England: mit dem tragischen Sturz des stolzen Mortimers) ist ziemlich sicher Christopher Marlowes letztes Drama und seine zweite Historie.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Wie alle Dramen Marlowes weist der erste erhaltene Druck weder ein Personenverzeichnis noch eine Akteinteilung auf.
[Szene 1]
Piers Gaveston, der Günstling des englischen Thronerbens, der einst vom König in die Verbannung geschickt worden war, ist nach England zurückgekehrt. Der neue König Edward II. hat ihn zu sich gerufen. Für die armen Soldaten, die bei Gaveston eine Anstellung suchen, hat er nun keine Verwendung mehr. Er möchte den König mit Lustbarkeiten erfreuen. Gegen den Willen der Lords, vor allem der beiden Mortimers, will Edward seinen Favoriten bei sich aufnehmen. Daraufhin drohen sie dem König mit einer offenen Revolte. Edward überschüttet Gaveston mit Gunstbeweisen. Er erlaubt ihm auch sich am Bischof von Coventry zu rächen, der einst maßgeblich an der Exilierung Gavestons beteiligt war. Gaveston läßt ihn ins Gefängnis werfen.
[Szene 2]
Einige Lords, darunter auch die Mortimers, beraten was nun zu tun sei. Der Erzbischof von Canterbury schickt einen Boten an den Papst, der von der Verhaftung des Bischofs von Coventry berichten soll. Königin Isabella will sich den Lords anschließen, da der König Gaveston ihr vorzieht. Der jüngere Mortimer rät ihr zu bleiben. Notfalls will er mit Gewalt gegen Edward vorgehen, selbst wenn dies gegen die Wünsche der Königin ist. Zunächst beschließen die Lords sich nach Lambeth zurückzuziehen.
[Szene 3]
Gaveston weiß vom Vorhaben der Lords.
[Szene 4]
Die Lords und der Erzbischof unterschreiben die Verbannungsurkunde für Gaveston. Da sie in der Übermacht sind, gelingt es ihnen, Gaveston und den Earl von Kent, den Bruder des Königs verhaften zu lassen. Selbst auf die Gefahr hin abgesetzt zu werden, weigert sich Edward zunächst die Urkunde zu unterzeichnen. Er ist sogar bereit auf einen Großteil seines Reichs zu verzichten, wenn man ihm Gaveston läßt. Die Lords wollen sich darauf nicht einlassen und der König unterschreibt. Doch er schwört gegen die Macht des Papstes und die Lords anzukämpfen. Gefühlvoll nimmt er von Gaveston Abschied, den er zum Gouverneur von Irland macht. Edward wirft seiner Frau vor, zu eng mit Mortimer zu verkehren, und daher die Verbannung Gavestons lanciert zu haben. Isabella beteuert ihre Unschuld, aber der König hält zu seinem Günstling. Nachdem ihr Gatte gegangen ist, beklagt sie ihr Schicksal. Sie hofft ihre Leiden zu lindern, indem sie, wie Edward es verlangt hat, versucht die Verbannung gegen Gaveston aufzuheben. Die Lords wollen sich ihrem Wunsch nicht fügen. Erst als sie in einer geheimen Unterredung dem jüngeren Mortimer drei Gründe für die Rückholung Gavestons nennt, ist dieser dazu bereit. Er überredet auch die anderen Lords, da er ihnen klarmacht, dass Gaveston in Irland über genügend Möglichkeiten verfügt die Lords zu stürzen. In London hingegen wäre es leicht möglich, dass er das Opfer eines Attentats werden könnte. Sobald Edward von Isabella erfahren hat, dass die Lords Gaveston die Rückkehr gestatten, nimmt er nicht nur die Königin wieder in Gnaden auf, sondern überträgt jedem seiner Edlen eine wichtige Aufgabe. Mortimer sr. wurde zum Kommandeur der Truppen gemacht, die gegen die Schotten kämpfen. Bevor er aufbricht, bittet er seinen Neffen sich nicht gegen den König zu stellen, weil er Gaveston liebt. Mortimer erklärt, dass es nicht die Zuneigung an sich ist, die ihn gegen Gaveston und den König einnimmt, sondern Verantwortungslosigkeit Edwards gegenüber seinem Reich, da er alle Aufmerksamkeit nur dem Emporkömmling widmet.
[Szene 5]
Die Nichte von Edward ist über die Rückkehr Gavestons ebenfalls höchst erfreut. Sie meint, der König habe sie an den Hof gerufen, um sie mit seinem Günstling zu verheiraten.
[Szene 6]
Gaveston, von Edward sehnsüchtigst erwartet, kehrt aus dem Exil zurück. Sofort entbrennt wieder ein Streit mit den Lords. Mortimer verwundet Gaveston, worauf der König ihn verbannt. Die Lords sind entschlossen mit Waffengewalt gegen den König vorzugehen. Ein Bote berichtet von der Gefangennahme des älteren Mortimers. Sein Neffe will, dass der König das Lösegeld zahlt. Dieser erlaubt ihm jedoch nur selbst im Land das Geld zu sammeln. Mortimer wirft Edward vor, seine Pflichten als König so vernachlässigt zu haben, dass er sich nun offen gegen ihn stellt. Edward verbannt sogar seinen eigenen Bruder, weil er gegen Gaveston ist. Dieser hat beim König tatsächlich die Heirat mit Edwards Nichte durchgesetzt.
[Szene 7]
Edwards Bruder schließt sich den Lords an. Sie wollen die Burg, in der sich der König mit Gaveston aufhält, stürmen.
[Szene 8]
Edward und Gaveston beschließen getrennt vor den Lords zu fliehen. Isabella muß zurückbleiben. Sie verrät Mortimer, wo er Gaveston finden kann und wohin sich der König begeben will. Ein letztes Mal will sie versuchen seine Liebe wiederzugewinnen. Sollte es ihr nicht gelingen, plant sie mit ihrem Sohn Prinz Edward nach Frankreich zu gehen.
[Szene 9]
Gaveston wird von den Lords gefangengenommen. Edward läßt sie durch den Earl von Arundel um eine letzte Unterredung mit ihm bitten. Nach einer längeren Debatte beschließt Pembroke, gegen den Widerstand Warwicks, gemeinsam mit Arundel Gaveston am nächsten Morgen zum König zu bringen.
[Szene 10]
Obwohl Pembroke versichert hat, er werde Gaveston nach der Unterredung mit Edward, zu den Lords zurückbringen, entführt Warwick Gaveston.
[Szene 11]
Edward wartet ungeduldig auf Botschaft von den Lords. Seine Getreuen raten ihm sich mit aller Macht gegen die Rebellen zu stellen. Spencer sen. kommt ihm mit einer Truppe zur Hilfe, als Isabella die Nachricht bringt, dass ihr Bruder, der französische König, die Normandie besetzt hat. Edward denkt jedoch nur an Gaveston und schickt deshalb die Königin und seinen Sohn nach Frankreich um mit dem König zu verhandeln. Arundel berichtet, dass Warwick Gaveston enthauptet hat. Edward schwört Rache, worin er von den Spencers unterstützt wird. Ein Bote der Lords, macht dem König ein Friedensangebot, unter der Bedingung, dass er sich von Spencer trennt und sich endlich wieder um sein Reich sorgt. Edward lehnt ab.
[Szene 12]
Edward gewinnt die Schlacht gegen die Lords und seinen Bruder, die er gefangennehmen läßt. Levune soll jede Menge Gold und die Nachricht von Edwards Sieg nach Frankreich bringen, um dafür Sorge tragen, dass Isabella den dortigen Adel nicht gegen ihren Mann aufbringen kann.
[Szene 13]
Kent ist die Flucht aus dem Tower geglückt. Er will nach Frankreich, um den Adel über Edwards Schwächen zu unterrichten. Der jüngere Mortimer, der ebenfalls fliehen konnte, stößt zu ihm.
[Szene 14]
Isabella und ihrem Sohn gelingt es in Paris nicht, den französischen König oder die Adeligen zur Unterstützung zu bewegen. Sie faßt erst wieder Mut, als Mortimer und Kent ihr beistehen.
[Szene 15]
In London erreicht Edward ein Brief von Levune. Er berichtet, dass die Königin, ihr Sohn, Mortimer und Kent unterstützt von Sir John von Hainault, von Flandern aus versuchen, gegen Edward mobilzumachen.
[Szene 16]
Gemeinsam mit ihrem Sohn und ihren Getreuen ist Isabella in England gelandet. Ihre Truppen ziehen nun gegen den König.
[Szene 17]
Edward hat den Kampf gegen die Truppen seiner Frau verloren. Kent fürchtet um das Leben seines Bruders. Er glaubt Mortimer trachte dem König nach dem Leben und werde in seiner Machtgier von Isabella unterstützt. Der ältere Spencer wird gefangengenommen, sein Sohn und der König allerdings konnten entkommen.
[Szene 18]
Edward findet in einem Kloster Unterschlupf. Ein Bauer jedoch verrät ihn an die Männer Isabellas. Der König wird nach Kenilworth gebracht.
[Szene 19]
Edward wird nahegelegt abzudanken. Er weiß, dass er es nicht für seinen Sohn, sondern für Mortimer tun soll, selbst wenn die Lords ihm das Gegenteil versichern. Nach längerem Kampf mit sich selbst schickt Edward seine Krone an das Parlament.
[Szene 20]
Mortimer verlangt von Isabella die baldige Einsetzung ihres Sohnes und die Vormundschaft für ihn. Sie ist zu allem bereit. Mortimer kommen Gerüchte zu Ohren, dass Kent seinen Bruder befreien möchte. Isabella fürchtet, dass die Inhaftierung ihres Mannes keine dauerhafte Sicherheit bietet. Sie wünscht ihn tot, möchte daran aber nicht beteiligt sein, und heuchelt den Bediensteten und ihrem Schwager gegenüber nach wie vor Zuneigung zu ihrem Gatten. Mortimer gerät mir Kent in Streit um die Vormundschaft für Edwards Sohn.
[Szene 21]
Kent gelingt es nicht seinen Bruder zu befreien.
[Szene 22]
Mortimer schickt den Mörder Lightborn mit einer missverständlichen Nachricht zu Edwards Wächtern, Matrevis und Gurney. Wenn man seine Leiche findet, kann Mortimer ihnen die Schuld geben, da sie seinen Befehl falsch verstanden haben. Der Prinz ist mittlerweile zum König gekrönt worden. Als man ihm seinen Onkel vorführt, verurteilt Mortimer – trotz Widerstand Edward III. – ihn zum Tod.
[Szene 23]
Lightborn tötet Edward. Wie Mortimer es angeordnet hat, töten die Wachen darauf hin Lightborn.
[Szene 24]
Isabella berichtet Mortimer, dass Edward III. von der Ermordung seines Vaters erfahren hat, und Rache schwört. Gurney hat ihm den Brief von Mortimer übergeben. Der König läßt ihn enthaupten und schickt seine Mutter in den Tower.
Text
Das Drama besteht aus 1.722 Sätzen mit insgesamt 21.106 Wörtern und einem Vokabular von 3.142 Wörtern.1 1 Wort verwendete Marlowe zum ersten Mal in einer neuen Bedeutung, 1 Wort gebrauchte er in einer bis dahin unbekannten grammatischen Konstruktion und 1 Wort kommt in dieser Bedeutung nur bei Marlowe vor.
Entstehung
Edward II wurde nicht von den Admiral’s Men, sondern den Pembroke’s Men aufgeführt. Henslowe erwähnt das Werk nicht in seinen Aufzeichnungen, was nicht bedeuten muss, dass das Stück von vornherein für die Pembroke’s Men verfasst wurde. Roslyn L. Knutson vermutet sogar, Edward II. sei ursprünglich ebenfalls für Edward Alleyn geschrieben worden.2
Die Titelseite des ersten erhaltenen Drucks berichtet, dass das Drama mehrmals in London gespielt worden ist. Für die Tournee war es nicht wirklich geeignet, denn es erfordert immerhin sechzehn Schauspieler, weshalb Ende 1591 Anfang 1592 als Entstehungszeit angenommen werden kann, wofür ebenso die neuartige Begeisterung der elisabethanischer Dramatiker für die Geschichte des englischen Mittelalters, die Anfang der 1590er Jahre einsetzte, sprechen würde.3 Das hatte nach dem Sieg über die Armada und in einem Klima des erwachenden englischen Nationalbewusstseins, einen patriotischen Hintergrund, vor dem es jedoch ein wenig sardonisch erscheint, dass Marlowe ausgerechnet ein Stück über Edward II. verfasste. Dieser Monarch galt damals bereits als einer der schlechtesten Herrscher Englands.4 Außerdem hielt Marlowe sich 1591/92 in den Niederlanden auf,5 was eine frühere Datierung vermuten lässt. Im Drama findet man ein wörtliches Zitat aus George Peeles Descensus Astraeae, das anlässlich der Amtseinführung eines Londoner Oberbürgermeisters am 8. November 1591 geschrieben wurde. Dabei ist allerdings unbekannt, ob Marlowe von Peele oder Peele von Marlowe borgte.6 Ebenso verhält es sich mit anderen Werken, wie etwa Shakespeares beiden letzten Teilen von Henry VI, Peeles Edward I sowie den Dramen The Troublesome Reign of King John, Soliman and Perseda und Arden of Faversham. Allerdings ist auch hier die genaue Entstehungszeit ungewiss, bzw. umfasst einen so engen Raum, dass sich als Entstehungsjahr 1591 vermuten, 1592 aber nicht ausschließen lässt.7 Josie Slaughter Shumake hingegen präzisierte das Entstehungsdatum, indem sie auf zwei Stellen verweist, die die Verwendung der zweiten Auflage von John Stows Annales nahelegen. Wenn das zutrifft, kann das Stück nicht vor Mai 1592 entstanden sein.8 Die meisten Anhaltspunkte, die Edward II als Marlowes letztes Drama kennzeichnen, sind im Werk selbst zu finden. Trotz des korrumpierten Zustands einiger anderer Stücke ist klar erkennbar, dass die Struktur von diesem gegenüber den anderen am weitesten fortgeschritten ist. Erstmals liegen die Handlungsorte nicht irgendwo im Ausland, sondern in der Heimat des Autors. Im Gegensatz zu den shakespeareschen Historien, wo Geschichte als vom Schicksal vorherbestimmter Ablauf zur Befreiung Englands von seinen Feinden definiert wird, zeigt Edward II, dass Vergangenheit wie Gegenwart von der Fähigkeit der Machthaber bestimmt wird.9 Obwohl wie immer bei Marlowe das Individuum im Vordergrund steht, wird es vom Autor nun gänzlich anders betrachtet als in seinem ersten großen Drama.
"Tamburlaine’s chief emotions are related to vast human potentiality, with only a final moment of regret that all is not possible, while in Edward II, all the emphasis falls on the pathos and horror of predicaments in which man is inextricably caught."10
Der Eintrag ins Stationers' Register erfolgte am 16. Juli 1593.
vjto Julij | |
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William Jones | Entred for his copie vnder th[e h]andes of Master Richard Judson and the Wardens/ A booke. Intituled The troublesom Reign and Lamentable Death of Edward the Second, king of England, with the tragicall fall of proud Mortymer……………………………..vjd w. |
Obwohl Hinweise für die Existenz eines Drucks von 1593 sprechen könnten,11 stammt der älteste erhaltene aus dem Jahr darauf. Der Verleger war William Jones und der Drucker wahrscheinlich Robert Robinson. Laut Faltung handelt es sich um ein Octavo, Größe und Form entsprechen allerdings dem Quarto, weshalb der Druck als solches bezeichnet wird. Im 20. Jahrhundert existierten davon nur mehr zwei Exemplare. Eines besaß die Landesbibliothek Kassel, wo es nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr auffindbar war. Das andere ist heute noch im Bestand der Zentralbibliothek Zürich. 1598, 1612 und 1622 erfolgten weitere Ausgaben.12
Quellen
1587 kam die zweite Auflage von Chronicles of England, Scotland and Ireland auf den Markt. Obwohl Ralph Holinshed nicht der einzige Verfasser gewesen und schon Anfang der 1580er Jahre gestorben war, erschien auch diese Ausgabe unter seinem Namen. Sie enthielt etliche Verbesserungen und wurde ein Verkaufsschlager. Zahlreiche Literaten der elisabethanischen Zeit benutzen sie als Quelle so auch Marlowe für Edward II.13 Holinshed’s Chronicles waren ein Symptom für den erstarkenden englischen Nationalismus während der Tudorzeit. Neben dem berühmten Sinn für Fairplay und der Förmlichkeit, förderte das Werk auch stoische Tugenden, Beständigkeit, Selbstbeherrschung und Genügsamkeit, für die im Drama besonders der jüngere Mortimer eintritt.14 In Thomas Chruchyards Gedicht The Two Mortimers, das sich wahrscheinlich in der 1578 Ausgabe von A Mirror for Magistrates fand, ist er der Hauptverantwortliche für die Ermordung Edward II.15 Weiters stützte Marlowe sich auf Robert Fabyans The New Chronicles of England and France, die erstmals 1515 erschienen sowie John Stows Annales, or a Generale Chronicle of England from Brute until the present yeare of Christ 1580.16 Ob Marlowe die mittelalterlichen Chroniken wie Thomas Walsingshams Historia Anglicana oder Geoffrey le Bakers Vita et Mors Edwardi Secundus ebenfalls benutzte, ist nicht erwiesen. Da beide Werke in der Bibliothek von Matthew Parker enthalten waren, die später das Corpus Christi College übernahm, war man lange davon ausgegangen. Mittlerweile wurde festgestellt, dass Parkers Bücher nicht vor 1593 in Cambridge angekommen waren und Marlowe demnach keinen Zugang zu ihnen hatte.17 Viel wahrscheinlicher als die Benutzung der lateinischen Quellen ist die Verwendung von John Foxes Acts and Monuments aus dem Jahre 1570, die eine kurze aber informative Schilderung der Regentschaft Edward II. enthält.18 Naheliegend ist ebenfalls die Verwendung von Richard Graftons Chronicle at large and meere History of the affayres of Englande (1569).19
Themen
Die Welt, in die Marlowe seinen Edward II. setzt, ist eine elisabethanische, keine mittelalterliche,20 weshalb im Drama Themen behandelt werden, die in der Handlungszeit weitgehend unbekannt, in der Entstehungszeit hingegen sehr aktuell waren.
Günstlingswirtschaft
"[…] the extraordinary polarisation of Edward’s favour, and the evil policies to which it led, had obvious parallels in the atmosphere of suspicion and favour at the court of Queen Elizabeth in her later years. Marlowe’s play Edward II, […] has captured the essential atmosphere of the regime perhaps better than any historian as since been able to do."21
Marlowe könnte das Pamphlet Histoire tragique et memorable de Pierre de Gaverston von Jean Boucher sowohl für The Massacre at Paris als auch für Edward II verwendet haben.22 Boas war der Erste, der in The Massacre at Paris prinzipiell einen Vorläufer von Edward II erkannte.23 Neben den von ihm angeführten Ähnlichkeiten in Figuren und Sprache haben beide Werke noch eine Gemeinsamkeit. Nicht nur in Edward II ist die Beziehung des Königs zu seinen Adeligen ein Grundthema.24 Die beiden Stücke behandeln eine damals sehr zeitgemäße Materie. Im Herbst 1583 sah sich Francis Walsingham genötigt, James VI. von Schottland, dem voraussichtlichen Erben der englischen Krone, die Nachteile herrschaftlicher Günstlingswirtschaft vor Augen zu führen, wobei er Edward II. als Beispiel anführte.25 Der schottische König blieb davon Zeit seines Lebens unbeeindruckt. Der Protektionismus begann mit Esmé Stewart, Seigneur D’Aubigny (1542-1583), einem Verwandten aus dem französischen Zweig von James VI. (Auf englischer Seite wurde vermutet, Stewart würde gemeinsam mit dem Herzog von Guise Mary Stuart, dem Vatikan und der Hilfe des Katholischen Seminars James VI. zur Unterstützung einer katholischen Invasion in England via Schottland überreden. Es gibt die Vermutung, Richard Baines sei deshalb als Spion ins Katholische Seminar geschickt worden.26]) D’Aubignys Macht wurde so groß, dass der schottische Adel den König 1582 nach Schloss Ruthven einlud, wo er zehn Monate festgehalten und gezwungen wurde, D’Aubigny zu verbannen, der bald darauf in Frankreich starb.27 James Stuart, Earl von Arran war ein weiterer Favorit, dem es gelang die englisch-schottischen Beziehungen vorübergehend zu stören. Der König musste ihn 1586 ins Exil schicken.28 Ihm folgte George Gordon, Earl von Huntley (1562-1636), der gute Kontakte nach Spanien hatte und trotz der Beteiligung an mehreren Verschwörungen hielt sein Einfluss bis zur Thronbesteigung Charles I. an. Alexander Lindsay, Lord Spynie (~1563-1607) begleitete James VI. auf seiner Brautfahrt, die er teilweise finanziert hatte. 1592 wurde er wegen Verrats angeklagt. Obwohl es zu keiner Verurteilung kam, verlor Lindsay die Gönnerschaft des Königs. Nachdem er als James I. ebenfalls König von England geworden war, wurde die Günstlingswirtschaft noch bizarrer. Der Page Robert Carr war weder eine Geistesgröße, noch verfügte er über besondere Begabungen, verdankte allerdings seinem guten Aussehen einen kometenhaften Aufstieg. James I. sorgte für eine profitable Heirat mit Frances Howard29 und machte ihn zum Earl von Somerset. Carrs Macht ging so weit, dass er 1610 den König überredete das Parlament, das ihn scharf attackiert hatte, aufzulösen. Fünf Jahre später fiel er in Ungnade und wurde durch George Villiers, Herzog von Buckingham (1592-1628) ersetzt. Obwohl seine diplomatischen Fähigkeiten zu wünschen übrigließen, machte er eine steile Karriere, die unter Charles I. weiterging. Richtig berühmt wurde Villiers erst zwei Jahrhunderte später, als Alexandre Dumas ihn in Die drei Musketiere und Die Rache der Mylady verewigte.
Wie bei Henri III. am französischen Hof kamen die meisten Favoriten von James I. nicht aus dem Hochadel. Diese Reflexion der aktuellen Ereignisse wird in der Transformation von Gaveston sichtbar. Historisch entstammte er einer adeligen Familie aus der Gascogne, die treu zur englischen Krone stand. Bei Marlowe ist er ein Bürgerlicher, der über sexuelle Reize und Sinn für Ästhetik verfügt.30 Ob Henri III. oder James VI. tatsächlich intime Beziehungen mit ihren Höflingen unterhielten und diese die Politik beeinflussten, ist sekundär. Tatsache ist, dass gegen Ende des 16. Jahrhunderts zwei Herrscher von Ländern, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu England befanden, den Eindruck machten, als würden sie in ihren Entscheidungen dem Willen ihrer Favoriten folgen. Edward II., Gaveston und Spencer mochten schon lange tot sein, die Schwierigkeiten königlicher Günstlingswirtschaft hingegen war von brisanter Aktualität,31 worauf Marlowe hinwies. Wie aktuell diese Analogien sind, hat Ralph Berry bewiesen, der 2007 Tony Blair und Peter Mandelson mit Edward II. und Gaveston verglichen hat.32
Irland
Während der Regentschaft von Elizabeth I. schuf sich England ein Problem, das es bis heute nicht bewältigen konnte: Irland. Zwar war bereits Henry II. 1169 auf der grünen Insel gelandet und hatte sie in sein Reich eingegliedert, doch die Anglo-Normannen passten sich eher den irischen Gegebenheiten an, als umgekehrt. In London war man sich dieser Situation bewusst, reagierte darauf aber nur halbherzig und spätestens seit Beginn des Hundertjährigen Krieges und der Rosenkriege konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der englischen Könige anderweitig. Sie führten nach wie vor den Titel eines Lords von Irland, der Einfluss der Krone schrumpfte jedoch auf einige Quadratkilometer rund um Dublin, das sogenannte Pale. Erst Henry VIII. nahm sich des Problems an. 1541 beschlossen das englische und irische Parlament, dass der König von England auch gleichzeitig König von Irland sei.
"What was decided in 1541 was therefore that those Gaelic elements of the Irish population who previously had been designated 'Irish enemies' [or those living outside of the English Pale] were being provided with the opportunity to become subjects to the crown."33
Selbst wenn die Iren allesamt diese Möglichkeit genutzt hätten, gab es auf englischer Seite keine klare Haltung gegenüber den neuen Untertanen. Ob Irland mit seinen Bewohnern ein Teil Englands geworden war, oder die Insel als englische Kolonie anzusehen sei, die von "irischen Anderen" bevölkert war, blieb fraglich. Sprache, Kultur, Ökologie, soziale Strukturen und seit neuestem auch die Religion waren in Irland tatsächlich so unterschiedlich, dass England fürchtete, es könnte von dieser Andersartigkeit infiziert werden.34
"It was the Irish 'wilderness' that bounded the English garden, Irish 'barbarity' that defined English civility, Irish papistry and ’superstition' that warranted English religion; it was Irish 'lawlessness' that demonstrated the superiority of English law, and Irish 'wandering' that defined the settled and centred nature of English society."35
Obwohl die Irlandfrage spätestens ab den 1590er Jahren ins Zentrum der englischen Politik rückte, wurde sie im zeitgenössischen Drama nie explizit behandelt. Zahlreiche Hinweise und Analogien vor allem in Shakespeares Historien offenbarten jedoch Irlands Stellenwert bei den Engländern, der am besten in The Comedy of Errors zum Ausdruck kommt, wenn Dromio, der die Küchenmagd mit einem Globus vergleicht, auf die Frage, in welchem Teil ihres Körpers Irland liegen würde, antwortet: "Marry, sir, in her buttocks. I found it out by the bogs."36
Schon in John Derrickes Image of Ireland (1581), eine unter den Elisabethanern gängige Informationsquelle über die Nachbarinsel, wurde eine ausdrückliche Verbindung zwischen der irischen Wildheit und der Analität hergestellt. Unterstrichen wurde dieser Zusammenhang auch optisch durch einen weitverbreiteten Holzschnitt, der ein irisches Fest darstellt, bei dem zwei Männer vor den Speisenden ihren Darm entleeren.37
In Edward II wird Gaveston zur Verkörperung Irlands, das ungesehen außerhalb der Bühne liegt und dennoch eine Bedrohung darstellt.38 Für den König und seine Günstlinge ist Irland der rettende Hafen, für die englischen Barone ist es eine Brutstätte der Konspiration.39 Als solches betrachtete es auch das zeitgenössische Publikum. Tatsächlich kooperierten die Iren mit Frankreich und Spanien gegen England, dem man durch eine gemeinsame "Katholische Invasion" in den Rücken fallen könnte. Das englische Reich lebte in der Angst, von hinten genommen zu werden.40 Irland war in der Lage England zu sodomisieren, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Begriff "sodomite" im frühneuzeitlichen England, auf jeden anzuwenden war, der eine Bedrohung für die allgemeine Vorstellung von Geschlecht, Klasse, Religion oder Rasse darstellte.41 Genau diese Gefahr sieht der Hof von Gaveston ausgehen. Nicht die sexuelle Beziehung zwischen ihm und Edward II. macht ihnen Angst, sondern die Penetration des politischen Körpers, den der König repräsentiert. Der Günstling gefährdet mit seiner Andersartigkeit das England im Drama, wie es Irland mit dem England Marlowes tat.
"[…] Ireland threatens the imaginary impermeability of England and the purity of English national identity – a threat that was profoundly resonant with the contemporary political climate of the late sixteenth century in England."42
Einen sehr ausführliche Darstellung von Irland als imaginärer Raum und die damit verbundenen Gefahren, die für das Überleben Englands als Nation, beseitigt werden müssen, gibt E. K. Atwood.43
Königsmord
Wurde früher ein Monarch zur Gefahr für sein eigenes Land, schütze ihn das Gottesgnadentum vor seinen Untertanen, selbst wenn sie zu Recht erzürnt waren. Spätestens ab der Mitte des 16. Jahrhunderts kamen Zweifel über diese Unantastbarkeit des Herrschers auf.
"The anxious uncertainty surrounding the issue of deposition finds its way into the English history plays of the early 1590s. In the anonymous Woodstock, in Marlowe’s Edward II, and in Shakespeare’s Richard II, it is never resolved:"44
Wiewohl im England der Tudorzeit noch der Grundsatz galt, dass auch dem tyrannischen Herrscher zu gehorchen sei, denn er sei dem Volk als Strafe Gottes auferlegt worden, stellten während der Regierung von Mary I. die protestantischen Exilanten diese Maxime infrage. Namentlich John Ponet betrachtete 1556 in A Short Treatise of Politic Power die Absetzung eines schlechten Machthabers als gerechtfertigt und führte neben zahlreichen anderen historischen Beispielen auch Edward II. und Richard II. an. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde ersichtlich, wie gefährlich diese Kritik an Königtum von Gottes Gnade wirklich war. Während der Religionskriege in Frankreich forderten die Hugenotten bereits den Sturz eines Souveräns, der wider göttliches Recht oder das Wohl seines Landes handelt. Als nach der Ermordung Henri III. Frankreichs Krone an Henri de Navarre fiel, ging es in den hugenottischen Schriften plötzlich wieder um die Erbmonarchie, die Unantastbarkeit des Königs und die Unverletzlichkeit des Herrschers. Anders sahen dies nun die Katholiken. Mit den Argumenten, die einst die Hugenotten gegen die katholischen Könige vorgebracht hatten, rechtfertigten sie, allen voran Jean Boucher, die Absetzung oder Ermordung eines hugenottischen Herrschers. Genau diesem Dilemma sah sich Elizabeth I. ausgesetzt. Wenn es für die Protestanten legitim war, ihre katholische Cousine vom Thron zu stoßen, warum sollten die Katholiken mit ihr nicht ebenso verfahren wollen?45 Später wurde die Problematik rund um Mary Stuart noch komplexer. Zwischen ihr und Edward II. gab es Ähnlichkeiten. Schottlands Königin wurde wie Marlowes Titelheld vom Thron gestoßen, war ihren Feinden schutzlos ausgeliefert und Elizabeth I. hätte es gerne gesehen, wenn ein gedungener Mörder sie von der Entscheidung wie mit ihr zu verfahren sei, befreit hätte.46 Fanden schon die Machthaber keine Lösung für diese Konflikte, wie sollte es dann erst dem Volk gelingen. Was für den einen Untertan Loyalität war, konnte für den andern ganz selbstverständlich Verrat sein,47 denn die Katholiken sahen sich permanent von Protestanten bedroht und die Protestanten fürchtete eine internationale Verschwörung der Katholiken. Man begann Königinnen hinzurichten und Herrscher zu beseitigen. Im Mittelalter konnte sich Edward II. ob seiner Absetzung und Ermordung noch als Ausnahme fühlen, ab dem 16. Jahrhundert gehörte das schon fast zum Alltag. 1625, drei Jahre nach dem letzten Druck von Edward II, bestieg in England ein König den Thron, dessen Verhalten an Marlowes Titelhelden erinnerte und der letztlich auch sein Schicksal mit ihm teilte.
"Edward is, like Charles I, a very silly king to rest so much on the privileges of his position, losing the affection of his people thereby, and doing nothing practical in the political or military field to justify the exaggerated awe he expects."48
Rezeption
Die zeitgenössische Rezeption lässt sich schwer feststellen, da Anspielungen auf Edward II. das Drama oder die historischen Ereignisse betreffen können.49
Joseph Hall könnte in Virgidemiarum von 1597 neben der Erwähnung von Tamburlaine auch auf den Fall des Königs in Edward II verweisen.
"One higher pitch’d doth set his soaring thought
On crowned kings that Fortune hath low brought:
Or some vpreared, high-aspiring swaine
As it might be the Turkish Tamberlaine."50
Abgesehen von den auf dem Titelblatt des Drucks von 1594 erwähnten Vorstellungen in London ist über Aufführungen des Stücks in der elisabethanischen Epoche nichts bekannt. Während dieser Zeit wurde das Schicksal Edward II. von einem anderen Autor wiederholt behandelt. 1594 erschien Michael Draytons erstes historisches Gedicht The Legend of Piers Gaveston. Seine Mortimeriados von 1596 hatten das Verhältnis zwischen Isabella und Mortimer zum Gegenstand. In Englands Heroicall Epistles (1597) ging Drayton erneut auf diese Beziehung ein und in den Barons Warres (1603) war sie ebenso von Bedeutung.51
Unter James I. spielten die Queen’s Men das Drama zwischen 1604 und 1606 sowie 1617 im Red Bull.52 Dies ging mit einem generellen Interesse der Literaten an Edward II. einher. Richard Niccols fügte dem Mirror for Magistrates von 1610 eine Lebensbeschreibung des Königs hinzu. Francis Huberts The Deplorable Life and Death of Edward the Second wurde 1628 ohne Zustimmung des Verfassers veröffentlicht. Im folgenden Jahr kam eine überarbeitete Version heraus, in der der Autor selbst angab, er hätte mit dem Werk bereits unter Elizabeth I. begonnen, doch erst unter ihrem Nachfolger sei es wirklich gereift. Elizabeth Carys (1585-1639) The History of the Life, Reign, and Death of Edward II wurde erst 1680 gedruckt, entstand vermutlich aber schon Ende der 1620er Jahre53 und lädt zu einem Vergleich zwischen Edward II. und James I. ein. 1621 verglich Henry Yelverton vor dem House of Lords George Villiers, Herzog von Buckingham mit Hugh Spenser, dem berüchtigtsten Günstlings Edward II., womit er einen Skandal auslöste, der England mehrere Wochen beschäftigte.54 Ein Jahr später ging Marlowes Drama erneut in Druck. Das Titelblatt dieses letzten Quartos verweist auf die vorangegangenen Aufführungen im Red Bull.55 Danach fiel – wie über alle Dramen Marlowes – der Schleier des Vergessens.
1744 brachte Robert Dodsley in der Anthologie Select Collection of Old Plays das Drama wieder heraus. Das war die erste Veröffentlichung eines Werks von Marlowe seit der letzten Edition des Epylions Hero and Leander von 1637.56 Charles Lamb gab zwar im Vergleich Shakespeares Richard II den Vorzug, lobte allerdings die Todesszene Edward II. Damit leitete Lamb 1808 die Wiederentdeckung des Stücks ein. Die wissenschaftlichen Analysen des Dramas kreisten zunächst hauptsächlich um die Frage, ob es sich dabei um eine Historie oder eine Tragödie handelt.57 Dabei stand Marlowes Stück meist im Schatten von Shakespeares Richard II und den drei Teilen von Henry VI. Diese Werke entstanden etwa um die Zeit, in der wahrscheinlich Edward II verfasst worden war und beschäftigen sich ebenfalls mit den Absetzungen von rechtmäßigen Königen. Deshalb werden sie oft mit Marlowes Drama in Zusammenhang gebracht, ohne dass eine Einigung darüber erzielt wurde, welcher Dramatiker den anderen inwieweit beeinflusst, oder als Vorbild gedient hatte.58
Die erste Aufführung seit dem 17. Jahrhundert war eine Inszenierung von William Poel am 10. August 1903 im New Theatre von Oxford mit Harley Granville-Barker in der Titelrolle.59 Das veranlasste George Bernard Shaw in einem Brief an den Schauspieler, seine Meinung über das Stück und den Autor ganz allgemein kundzutun:
"There IS nothing in it – no possibility of success; and the infernal tradition that Marlowe was a great dramatic poet instead of a XVI century Henley throws all the blame of his wretched half-achievement on the actor. Marlowe had words & turn for their music, but nothing to say – a barren amateur with great air."60
Bereits 1905 erfolgte eine erneute Produktion in Stratford-upon-Avon mit Frank Benson in der Titelrolle.61
Edward II gelang der Sprung auf den Kontinent erst im 20. Jahrhundert. Karel Hilar inszenierte das Stück 1922 in Prag und Karl-Heinz Martin zeigte am 2. November 1923 im Berliner Schauspieltheater seine eigene Bearbeitung mit Ernst Deutsch als Edward II. und Heinrich George als Mortimer. Dem Unternehmen war kein großer Erfolg beschieden.62 Am 19. März 1924 hatte Bert Brechts Das Leben Eduards des Zweiten von England an den Münchner Kammerspielen Premiere. In Brechts Bearbeitung wurde aus Edward II ein Stück über Klassengesellschaft und Machtmissbrauch durch den Staat.63 Ähnlich verfuhr Roger Planchon 1954 mit Edward II in der französischen Übersetzung von Arthur Adamov. Planchon erstellte eine Version, in der er wie Brecht versuchte seine politischen Ideen auszudrücken. Das Stück wurde so erstmals 1954 im Théatre de la Comédie in Lyon gezeigt. In den folgenden Jahren kam es wiederholt zu Aufführungen in verschiedenen französischen Theatern. Dafür überarbeitete Planchon seine erste Fassung noch zweimal, wobei er die marxistischen Tendenzen verschärfte.
Homosexualität
Edward II ist ein Drama über Verführung, allerdings nicht im sexuellen Sinn. Marlowes Sprache zielt auf Suggestion, Überredung, Beeinflussung und Manipulation.
"Over and over we are shown people in the process of deliberating or deciding, of wavering, and of having their minds changed, their attitudes toward an event or person influenced, or their perceptions, conclusions, and judgments swayed. Again and again the close and insidious connection between hearing speech and thinking, doing, or performing is not only reiterated but enacted."64
Faszinierende Analysen wie der eben zitierte Artikel von Debra Belt sind seltene Erscheinungen in der Flut von Betrachtungen über einen Aspekt des Stücks, der bei Marlowe gar nicht thematisiert wird. Zugegeben, keines seiner Werke war in seiner Aufführungspraxis sowie Interpretation vom gesellschaftlichen Wandel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stärker betroffen als Edward II. Was eigentlich eine Bereicherung hätte sein sollen, wurde in den letzten Jahrzehnten zu einer Bürde und führte zu einer nicht gerechtfertigten "[…] construction of Marlowe as a pioneer of gay liberation"65.
Nach 1903 gab es wiederholt Produktionen des Stücks in England, von denen die wahrscheinlich bekannteste 1958 von der Marlowe Society in Cambridge veranstaltete wurde. Unter der Regie von Toby Robertson spielte Derek Jacobi die Titelrolle.66 Zehn Jahre später wurde in England die Zensur abgeschafft, was Dinge ermöglichte, die zuvor noch undenkbar gewesen waren, wie etwa einen Edward, der Gaveston küsst. Bis dahin wurde das Drama ebenfalls hauptsächlich über die Beziehung dieser beiden Charaktere definiert, die Intensität ihrer Zuneigung konnte jedoch nun angedeutet werden. 1969 wurde Toby Robertsons Inszenierung beim Edinburgh Festival ein großer Erfolg, was vor allem dem Hauptdarsteller Ian McKellen, der gleichzeitig Shakespeares Richard II. spielte, zu verdanken war. Die BBC machte eine Studioaufzeichnung dieser Inszenierung und als sie 1970 ausgestrahlt wurde, küssten sich erstmals in der britischen Fernsehgeschichte zwei Männer.67
Bereits 1946 war zu lesen gewesen, dass die Ermordung Edward II. durch Lightborn mit einem glühenden Schürhaken erfolgt und eine Parodie des homosexuellen Akts darstelle.68 Seit Beginn der 1990er Jahre wird diese Interpretation der Szene als Basis für die Lesart des gesamten Dramas herangezogen.69
"[…] almost all of these readings have been rooted in anxieties about and insistences upon homosexual identity politics. This is only further illustrated by the fact that Edward II’s suggestively sodomitical death has spilled the majority of critical ink, […]. While reading Edward II through this lens is certainly provocative and even offers "producible interpretations," […] it need not be the only way to read or stage the play. In short, contemporary critics have been blinded by the red-hot spit."70
Geblendet wie sie waren, verwendeten sie ihre Interpretation der Szene als pars pro toto für Marlowes Biographie und die Mythografie erhielt neuen Aufwind. Basierend auf der im ausgehenden 19. Jahrhundert einsetzenden Ansicht, dass Dramenfiguren nur die Manifestation von Marlowes Ego seien, rückte die sexuelle Ebene Edward II in den Mittelpunkt der Betrachtung. Während Faustus über Marlowes Glaube Auskunft geben soll, soll Edward II über sein Sexualleben informieren.
"Critics have continues to cast Marlowe as the political and religious (or anti-religious) radical of Elizabethan theatre, although more recently his sexuality has made him a kind of icon for gay writers and artists; Oscar Wilde has been appropriated in a similar fashion."71
Zwar lenkt der Dramatiker die Aufmerksamkeit auf die politischen Auswirkungen der sexuellen Präferenzen des Königs,72 die Vorliebe selbst wird jedoch nicht thematisiert und ist auch nicht der Auslöser für den Widerstand des Adels.73 Dessen ungeachtet wird Marlowe mit dem freudschen Fetischismus in Verbindung gebracht,74 zu einem ödipalen Vorläufer Nietzsches erklärt75 oder gerühmt, er hätte mit Edward II in der Homosexualität bereits den Protestcharakter erkannt, wie er über dreihundert Jahre später im Werk Alfred Adlers beschrieben wurde.76 Selbst wenn zugestanden wird, dass alle Äußerungen über Marlowes sexuelle Ansichten und Praktiken nur Vermutungen sein können, wird dennoch nicht davor zurückgeschreckt, vorzuschlagen, "[…] that Marlowe anticipated Freud with the symptomatological insight of a Dostoevsky and the symbological flair of a Sophocles and gave us in his Edward II a definitive portrait of anal rebellion."77 Für einige Kommentatoren ist das Drama Marlowes Bekenntnis zur ausgelebten Homosexualität.78 Es wird natürlich auch die gegenteilige Ansicht vertreten79 während andere dafür gleich auf eine psycho-sexuelle Störung des Autors schließen!80 Dabei schien es keinen der Kommentatoren zu kümmern, dass die Elisabethaner Homosexualität gänzlich anders definierten, damalige Begriffe sowie Formulierungen heute in einem völlig unterschiedlichen Zusammenhang verwendet werden und es so etwas wie eine eindeutig homosexuelle Minderheit, die auf Ausleben ihres Verlangens drängte, im England des ausgehenden 16. Jahrhunderts gar nicht gab.81
"But the many who have written of the apparently openly 'homosexual' nature of the play have not grasped its irony or that the intense emotion, the passionate language and the embraces we see between these two men have ready parallels in Elizabethan England in the daily conventions of friendship without being signs of a sodomitical relationship."82
Was die Beziehung zwischen Edward II. und Gaveston in dieser Hinsicht interessant macht, sind die Abweichungen vom elisabethanischen Ideal der Freundschaft, die Marlowe vornahm. Es wurde vorausgesetzt, dass hohe Herrschaften die zu ihrem unmittelbaren Klienten in einem solch freundschaftlichen Verhältnis standen, allesamt Edelmänner waren. Zwar war gegenseitige Unterstützung ein wichtiger Teil der Freundschaft, doch verlangte der Untergebene nie nach einer Belohnung.83 Gaveston, darauf wird im Drama permanent hingewiesen, ist von niedriger Geburt und er erwartet sehr wohl vom König belohnt zu werden. Nun kommt wieder die für das elisabethanische Drama typische Ambivalenz zum Vorschein.84 Einerseits könnte Marlowe seinem Publikum einen Hinweis geben, wie es tatsächlich um die Verbindung zwischen Edward II. und seinem Favoriten bestellt ist. Hier hat jemand eine gesellschaftliche Stellung erreicht, die ihm von Natur aus nicht zusteht und in der er sich über die erhebt, die eigentlich über ihm stehen. Homosexualität wie die Elisabethaner sie verstanden, war sowohl eine Sünde wider die Natur als auch wider die Gesellschaft. Gaveston hat das soziale Gefüge durcheinander gebracht und vielleicht war ihm das durch eine Störung des natürlichen gelungen. Andererseits könnte Marlowe gesellschaftskritische Absichten verfolgt haben. Denn das viel besungene Ideal war längst eine Realität gewichen, in der Personen von Rang wie etwa Lord Burghley Männer ins Vertrauen zogen, die in der sozialen Rangfolge unter ihnen standen.85
2004 spielte The Queen’s Company Edward II ausschließlich mit Frauen. Dem Magazin Time Out New York fiel dafür keine bessere Werbung ein als: "Christopher Marlowe’s scandalous 1593 tragedy about a king and his male lover is given yet another twist of the wrist by the all-female Queen’s Company, performing in Samurai style."86 Diese Tragödie, die genaugenommen eine Historie ist, hatte keinen Skandal verursacht. Skandalöse Stücke ereilte im elisabethanischen England ein Schicksal wie The Isles of Dogs von Thomas Nashe und Ben Jonson. Die Aufführung wurde verboten, Jonson sowie zwei Schauspieler kamen ins Gefängnis, Nashe flüchtete aus London, das Swan Theatre erhielt keine Zulassung mehr und bis heue weiß niemand, warum das alles, denn der Text wurde vernichtet. Nicht Marlowe oder die Elisabethaner hatten ein Problem mit Edward II, wir haben seit langer Zeit eines. Weil unsere Gesellschaft noch immer zögert, Homosexualität zu akzeptieren, wird dieses Drama kontrovers betrachtet, obwohl die intime Beziehung zwischen Edward II. und Gaveston gar nicht das Thema des Stücks ist.87
Übersetzungen
Die erste bekannte deutsche Übersetzung veröffentlichte Karl Eduard von Bülow 1831 im Band Eins seiner Alt-Englischen Schaubühne.88 Fünfzig Jahre später folgte Robert Prölß mit dem ersten Band des Altenglischen Theaters,89 der neben je einem Drama von Kyd und Webster auch Edward II. enthielt. Die englische Bühne zu Shakespeare’s Zeit (1890) beinhaltet Eduard der Zweite90 übersetzt von Ferdinand Adolph Gelbcke. Alfred Walter Heymels Übersetzung, auf der Brechts Bearbeitung aufbaute, erschien 1912.Sie wurde auch für die Inszenierung von Christian Stückl anlässlich der Eröffnung des Neubaus des Münchner Volkstheater 2021 verwendet. Hanno Bolte und Dieter Hamblock91 brachten 1981 die bis dato einzige kommentierte Übersetzung heraus.
Für die Theater entstanden in den letzten Jahren mehrere Übersetzungen. Die von Eva Walch wurde 1999 an den Berliner Kammerspielen aufgeführt. Jussenhoven und Fischer bieten Die unselige Herrschaft und der klägliche Tod Edwards des Zweiten, König von England mit dem tragischen Sturz des stolzen Mortimer übersetzt von Wolfgang Swaczynna an und der Deutsche Theaterverlag hat Edward II.: König Bube Dame, übersetzt und bearbeitet von David Gieselmann und Hanno Hener, unter Mitarbeit von Anselm Franke und Cle Braun, im Sortiment.
Das Wiener Burgtheater zeigte das Stück zweimal. Die erste Produktion in der Regie von Konrad Swinarski und Gerhard Klingenberg hatte am 18. Mai 1972 in einer Übersetzung von Rudolf H. Weys Premiere. Claus Peymanns Inszenierung wurde am 21. Februar 1998 erstmals im Kasino am Schwarzenbergplatz gezeigt. Für diese Fassung von Hermann Beil, Jutta Ferbers und Claus Peymann wurden verschiedene Übersetzungen als Grundlage genommen.
Vertonung
David Bintley choreographierte 1995 für Stuttgart das Ballet Edward II. Dabei handelte es sich um ein Auftragswerk, das John McCabe komponiert hatte.92
Film
Eine Studioaufzeichnung der Produktion mit Ian McKellen vom Edinburgh Festival wurde 1970 im Fernsehen gezeigt.
1991 kam Derek Jarmans Film Edward II in die Kinos.
Audio
In der Reihe Vivat Rex 1 brachte BBC Radio 4 1977 eine Hörspiel-Version mit John Hurt und Richard Burton heraus.
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- Marlowe (1994b) bietet eine gute Zusammenfassung dieser Debatte inklusive Literaturhinweise.↩︎
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