The Famous Tragedy of the Rich Jew of Malta (Die berühmte Tragödie des reichen Juden von Malta) ist eine Tragödie, die Christopher Marlowe irgendwann zwischen 1590 und 1592 verfasste. Es war eines der meistgespieltesten und finanziell erfolgreichsten Stücke seiner Zeit.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
[Prolog]
Der Geist Niccolo Machiavellis stellt sich als einen Missverstandenen vor. Doch eigentlich wollte er keine Vorlesung halten, sondern die nachfolgende Geschichte eines Juden aus Malta präsentieren.
[Akt I, Szene 1]
Barabas ist ein höchst erfolgreicher, jüdischer Kaufmann auf der Insel Malta. Seiner einzigen Tochter Abigail ist er in Liebe zugetan, seine Geschäfte gehen prächtig – er ist mit sich und der Welt zufrieden. Zwei Juden berichten, dass die osmanische Kriegsflotte im Hafen vor Anker liegt und alle Juden ins Rathaus kommen sollen.
[Akt I, Szene 2]
Selim Calymath, der Sohn des osmanischen Sultans, verlangt vom maltesischen Gouverneur Ferneze die Zahlung des Tributs, den Malta die letzten 10 Jahre nicht entrichtet hat. Er gewährt nur mehr einen einmonatigen Aufschub. Um an das nötige Geld zu gelangen, wird ein neues Dekret erlassen: Alle Juden müssen die Hälfte ihres Vermögens abgeben. Wer sich weigert, verliert alles und muss zum Christentum konvertieren. Nur Barabas empört sich, worauf man seinen gesamten Besitz einzieht sowie aus seinem Haus ein Nonnenkloster macht. Laut Abigail haben die Schwestern das Gebäude bereits in Beschlag genommen, weshalb ihr Vater nun nicht an die Schätze kommt, die er für den Notfall versteckt hat. Daher verlangt Barabas von seiner Tochter, sie möge zum Schein Nonne werden, um so an das Versteck zu gelangen. Sie veranstalten eine Szene, die alle davon überzeugen soll, dass Barabas seine Tochter verstoßen hat, weil sie konvertiert ist.
[Akt I, Szene 3]
Mathias, der in Abigail verliebt ist, berichtet seinem Freund Lodowick, dem Sohn des Gouverneurs, dass Abigail Nonne geworden ist. Da er von ihrer Schönheit schwärmt, will Lodowick sie auch einmal sehen.
[Akt II, Szene 1]
Mit Abigails Hilfe gelingt es Barabas seine versteckte Reichtümer aus dem Kloster zu schaffen.
[Akt II, Szene 2]
Martin del Bosco, der Vizeadmiral, des spanischen Königs, ist nach Malta gekommen. Als er von Ferneze erfährt, dass die Osmanen den fälligen Tribut einfordern wollen, überredet er den Gouverneur, das Geld zu behalten. Er werde die Insel im Kampf unterstützen und auch den Kaiser um Hilfe bitten.
[Akt II, Szene 3]
Barabas kauf am Markt den Sklaven Ithimore. Lodowick, zwischenzeitlich auch von Abigail, die das Kloster verlassen hat, begeistert, verhandelt mit Barabas um einen Diamanten, wobei beiden klar ist, dass es eigentlich um Abigail geht. Ihr Vater nimmt das zum Anlass einen perfiden Plan auszuhecken. Mathias, der die zwei beobachtet, möchte nun ebenfalls mit Barabas "ins Geschäft kommen". Als Lodowick Barabas aufsucht, trägt dieser seiner Tochter auf, besonders nett zum Gast zu sein, obwohl ihre Liebe Mathias gilt. Dieser erkennt endgültig in seinem Freund einen Konkurrenten. Barabas weiß das geschickt auszunutzen, indem er jeden von ihnen Abigails Hand verspricht und die beiden gegeneinander aufhetzt.
[Akt III, Szene 1]
Die Kurtisane Bellamira beklagt, dass ihre wohlhabenden Kunden ausbleiben, seit die Osmanen vor der Insel ankern. Nur der Dieb Pillia-Borza kommt regelmäßig, kann sie jedoch nur in Silber bezahlen. Im Vorbeigehen erblickt Ithimore die Kurtisane und verfällt ihr sofort.
[Akt III, Szene 2]
Von Barabas angestachelt, kommt es Abigails wegen zum Streit zwischen Mathias und Lodowick, der für beide tödlich endet. Ferneze und Katherina beklagen den Tod ihrer Söhne. Sie können sich nicht erklären, wie aus den Freunden erbitterte Feinde wurden.
[Akt III, Szene 1]
Ithimore erzählt Abigail nicht nur von Mathias und Lodowicks Tod, er klärt sie auch über die Rolle, die ihr Vater dabei gespielt hat, auf. Abigail ist geschockt. Sie tritt aus freien Stücken erneut ins Kloster ein.
[Akt III, Szene 4]
Barabas ist über die Tat seiner Tochter entsetzt. Gemeinsam mit Ithimore will er den gesamten Konvent vergiften.
[Akt III, Szene 5]
Calymath verlangt durch einen abgesandten Pascha die Zahlung des Tributs, was Ferneze verweigert. Das bedeutet Krieg zwischen dem Osmanischen Reich und Jew of Malta – Malta
[Akt III, Szene 6]
Bruder Bernardine berichtet Bruder Jacomo, dass er zur Beichte ins Kloster gerufen wurde, da alle Nonnen erkrankt sind. Dort angekommen, trifft er nur mehr Abigail lebend an. Bevor auch sie stirbt, gesteht sie dem Mönch, wie Barabas Mathias und Lodowick in den Tod getrieben hat. Gemeinsam mit Jacomo will Bernardine Barabas anklagen.
[Akt IV, Szene 1]
Barabas Freude über das Totengeläut für die Nonnen wird von Jacomo und Bernardine gestört. Bevor sie ihre Anklage laut äußern, verspricht Barabas Buße zu tun und samt seinem Vermögen ins Kloster einzutreten. Von Gier übermannt, versucht jeder der Mönche Barabas in sein Kloster zu locken. Er verspricht Jacomo bei ihm zu konvertieren und schickt ihn weg. Nachdem er gegangen ist, ermorden Barabas und Ithimore Bernardine. Seine Leichen lehnen sie an einen Stock. Der zurückgekehrte Jacomo glaubt, Bernardine wolle Barabas zum Eintritt in dessen Kloster überreden, weshalb er auf den Bruder einschlägt. Daraufhin reden Barabas und Ithimore ihm ein, er hätte Bernardine getötet, weshalb sie ihn ins Gefängnis bringen.
[Akt IV, Szene 2]
Bellamira hat Ithimore eine Einladung zukommen lassen. Auf dem Weg zu ihr erzählt Ithimore von Jacomos Hinrichtung. Damit Ithimore Bellamira den Hof machen kann, benötigt er Geld. Pillia-Borza schlägt vor, Barabas zu erpressen. Ithimore lässt sich darauf ein. Er schickt Pillia-Borza mit einer Nachricht zu seinem Herren und vergnügt sich derweil mit Bellamira.
[Akt IV, Szene 3]
Barabas ist über die Erpressung durch seinen Sklaven erzürnt. Darüber hinaus verlangt auch Pillia-Borza Schweigegeld.
[Akt IV, Szene 4]
Barabas kommt als Musiker verkleidet zu Bellamira, die ein Bankett veranstaltet. Nacheinander riechen sie, Ithimore und Pillia-Borza an einem vergifteten Blumenstrauß, den Barabas mitgebracht hat.
[Akt V, Szene 1]
Der Kampf mit den Osmanen steht kurz bevor. Bellamira und Pillia-Borza verraten Ferneze, dassBarabas für Lodowicks Tod verantwortlich ist. Sobald Barabas und Ithimore vorgeführt werden, gesteht letzterer alles. Kaum sind die beiden abgeführt, berichtet ein Offizier, dass nicht nur Bellamira, Pillia-Borza und Ithimore, sondern überraschender Weise auch Barabas verstorben sind. Man wirft seine Leiche über die Stadtmauer. Tatsächlich hat Barabas einen Schlaftrunk eingenommen. Wieder erwacht, finden ihn die herannahenden Osmanen. Barabas bietet an, ihnen einen Geheimgang in die Stadt zu zeigen.
[Akt V, Szene 2]
Mit Barabas Hilfe hat Calymath die Malteser besiegt. Aus Dank dafür macht er ihn zum neuen Gouverneur der Insel. Statt sich seiner Position zu erfreuen, verspricht Barabas Ferneze, er werde Jew of Malta – Malta von den Osmanen befreien und ihn wieder als Gouverneur einsetzen, so er finanziell entschädigt wird.
[Akt V, Szene 3]
Ein Bote überbringt Calymath Barabas Einladung zu einem Bankett für alle Osmanen. Während Calymath und die Paschas mit Barabas in der Zitadelle speisen sollen, wird für die Soldaten in einem Kloster außerhalb der Stadt alles hergerichtet.
[Akt V, Szene 4]
Ferneze instruiert seine Soldaten.
[Akt V, Szene 5]
Barabas weiht Ferneze in seinen Plan ein. Der Ort, an dem die osmanischen Soldaten das Bankett feiern, ist in eine Sprengfalle verwandelt worden. Calymath und seine Paschas werden auf einer eigens errichteten Galerie, in die eine Falltür eingebaut ist, speisen. Sobald sie diese Galerie betreten, soll Ferneze das Signal für die Sprengung geben und das Seil der Falltür durchtrennen. Der Gouverneur löst zwar das Signal aus, warnt jedoch Calymath und betätigt die Falltür, als Barabas noch auf der Galerie steht. Er fällt in den darunter versteckten Kessel und stirbt. Da Calymaths Soldaten alle getötet wurden, muss er als Gefangener in Malta bleiben. Ferneze wird Gouverneur. Der Status quo ante ist wieder hergestellt.
Text
Das Drama besteht aus 1.836 Sätzen mit insgesamt 18.328 Wörtern und einem Vokabular von 2.999 Wörtern.1 14 Wörter verwendete Marlowe zum ersten Mal in einer neuen Bedeutung, 14 Wörter wurden erstmals von ihm benutzt, 3 Wörter gebrauchte er in einer bis dahin unbekannten grammatischen Konstruktion und ebenfalls 3 Wörter kommen in dieser Bedeutung nur bei Marlowe vor.
Überarbeitet von Thomas Heywood, oder doch nicht
Als man Marlowe im 19. Jahrhundert wiederzuentdecken begann, stellte The Jew of Malta ein Problem dar. Beginnend mit Edward Dowdens Transcripts and Studies (1888), die auch einen Aufsatz über Marlowe enthielten, der bereits im Jänner 1870 in der Fortnightly Review erschienen war, setzte eine Verherrlichung Marlowes ein, bei der sein Werk als eine Art Autobiografie gelesen wurde. Die Dramengestalten waren nur das Sprachrohr für die Ansichten des Dichters. In dieser Zeit wurde Marlowe zum ersten Romantiker, zum Grenzen überschreitenden Sucher nach Schönheit und Wahrheit, den man in einem Atemzug mit Keats, Shelley oder Byron nannte.2 Solch ein Genie konnte Tamburlaine, der nach Macht, Faustus, der nach Wissen und Edward II., der nach Selbstverwirklichung strebt, hervorbringen, doch Barabas, der auf Geld und Rache aus ist, passte nicht in dieses schwärmerische Konzept. Außerdem konnte ein Künstler wie Marlowe nur tiefgehende Tragödien schreiben, wogegen vor allem die drei letzten Akte von The Jew of Malta sprechen. Während dem Anfang des Dramas noch hohe Kunstfertigkeit nachgesagt wurde, galt der Schluss als eiliges Machwerk, das der Autor nicht mehr überarbeiten konnte.3 Zusammen mit der späten Drucklegung und den Zusätzen Heywoods wurde somit die Theorie genährt, dass das gesamte Drama gar nicht aus Marlowes Feder stammte. Mittlerweile gibt es dazu mehrere Thesen.
- Heywood hatte Hand an das Drama gelegt, was ganz eindeutig in IV,4 zu merken ist.4
- John Webster käme als Autor der letzten drei Akte infrage.5
- Heywood hat den dritten und vierten Akt geschrieben.6
- Das Stück entstand in der Zusammenarbeit zwischen Marlowe und Thomas Kyd.7
- Die Umarbeitung stammt eher von Thomas Dekker als Heywood.8
Erst T. S. Eliot widersprach 1919 der allgemeinen Auffassung:
"[…] if one take The Jew of Malta not as a tragedy or as a 'tragedy of blood', but as a farce, the concluding act becomes intelligible, and if we attend with careful ear to the versification, we find that Marlowe develops a tone to suite this farce, and even perhaps that is his most powerful and mature tone. I say farce, but with the enfeebled humour of our times the word is a misnomer, it is the farce of the old English humour, the terribly serious, even savage comic humour which spent his last breath in the decadent genius of Dickens."9
Es sollte noch drei Jahrzehnte dauern, bis sich die Wissenschaft dieser Ansicht anschloss. Leo Kirschbaum10 versuchte nachzuweisen, dass die Brüder-Szenen, die man wiederholt Heywood zuschrieb, tatsächlich von Marlowe stammen und J. C. Maxwell sah in der späten Druckausgabe kein zwingendes Argument für die Umarbeitung durch andere Autoren, denn "[…] manuscripts, unlike apples, do not become corrupt simply by lying in a drawer."11 Kenneth Friedenreich, der eine ausführliche Analyse über die Urheberschaftsdebatte verfasste, stellte diesbezüglich die entscheidende Frage:
"[…] we are compelled to ask why, if […] Heywood decided to revise The Jew of Malta extensively for its 1633 revival at Court and the Cockpit, he would begin working from the middle of the play on, or why he would have felt that only half the play needed revision at all."12
Entstehung
Das genaue Entstehungsdatum ist unbekannt. Berücksichtigt man den Hinweis auf den Tod von Henri de Lorraine, Herzog von Guise kann das Drama nicht vor dem 23. Dezember 1588 fertiggestellt worden sein. Die erste Aufführung des Stücks verzeichnete Philip Henslowe für den 7. März 1592. Ins Stationers' Register wurde das Drama erst am 27. Mai 1594 eingetragen.
xvijto maij | |
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Nicholas Linge Thomas Mill- ington |
Entred for theire copie vonder the hand of Master Warder Cawood. the famouse tragedie of the Riche Jewe of Malta …………………vjdC |
Wahrscheinlich ist diese Ausgabe überhaupt nie gedruckt worden. Der früheste erhaltene Druck entstand neununddreißig Jahre später, womit The Jew of Malta das einzige existierende englische Drama des 16. Jahrhunderts ist, das erst in den 30er Jahren des folgenden Jahrhunderts gedruckt wurde.13
200 Nouembris 1632 | |
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Nicholas vavasor | Entred for his Copy vnder the handes of Sir Henry Herbert and Master Weaver warden a Tragedy called the Jew of Malta. [by Christopher Marlowe ] ………………………………………………………………………………vjd |
Neben dem Stücktext enthält dieses Quatro eine Widmung von Thomas Heywood für den Anwalt Thomas Hammon sowie zwei Prologe und Epiloge, die ebenfalls von Heywood stammen.
Quellen
Es scheint keine eindeutig literarischen Vorlagen zu geben, auf die Marlowe zurückgegriffen hat, obwohl vorher schon auf englischen Bühnen Juden dargestellt worden waren. Das sogenannte Croxton Play of the Sacrament wurde wahrscheinlich um 1465 verfasst. Es erzählt von Jonathas, einem jüdischen Kaufmann, der mit seinen Glaubensbrüdern von einem Christen eine geweihte Hostie kauft. Diese wir allen möglichen Tests unterzogen, weil die Juden sehen wollen, ob Jesus tatsächlich in der Oblate präsent ist. Die Juden konvertieren zum Christentum, als sie Zeuge der wunderbaren Kräfte der Hostie werden. Die Ähnlichkeiten beschränken sich jedoch auf Jonathas Anfangsmonolog, der an den von Barabas erinnert.14 Um 1584 entstand das Drama The Three Ladies of London, als dessen Autor Robert Wilson vermutet wird. Darin wird der jüdische Geldverleiher Gerontius als ehrlicher, großzügiger und moralisch integrer Geschäftsmann geschildert, während der christliche Kaufmann Mercadorus einen Bösewicht darstellt. Doch auch hier sind die Parallelen zu Marlowes Stück höchstens marginal. In The School of Abuse erwähnt Stephen Gosson 1579 ein Drama namens The Jew, dessen Text nicht mehr auffindbar ist.15
Die Frage warum die Handlung ausgerechnet auf Malta stattfindet, ist nicht ganz unberechtigt, da einige Angaben Marlowes zur örtlichen Beschaffenheit überraschend genau andere wiederum völlig falsch sind, beginnend bei der Tatsache, dass dort wie in England kaum Juden lebten.16 Andererseits sind laut Marlowe auf der Insel auch kaum Malteser zu Hause.17 Dadurch wird die Vermutung gestärkt, der Handlungsort ist trotz der auftretenden Übereinstimmungen mit dem wirklichen Malta ein konstruierter, der auf die Erwartungen des elisabethanischen Publikums zugeschnitten war,18 das von Malta wahrscheinlich schon das eine oder andere Mal gehört hatte, da ab den 1580er Jahren englische Reisende eintrafen, was mit dem Ausbau der mediterranen Handelsbeziehungen Englands einherging.19 Das englische Malta-Bild war von 1524 bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts ambivalent. Literaten zeigten es entweder als Ort der Krieges, des Heroismus und der Ehre, oder als Ort von Betrug, Sklavenhandel und erotischen Machenschaften.20
Ein Referenzwerk, das Marlowe zumindest kannte, hatte Nicolas de Nicolay 1568 unter dem Titel Les quatre premiers livres de navigations et peregrinations orientales veröffentlicht. 1585 war es von Thomas Washington als The navigations, peregrinations and voyages made into Turkie übersetzt worden. Darin ist ein ganzes Kapitel über Malta enthalten.21 Darüber hinaus benutzt Marlowe wieder Richard Hakluyts The Principall Navigations, Voiages and Discoveries of the English Nation.22 In diesen Büchern tauchte wiederholt das Gerücht auf, die Juden hätten gegenüber den Christen bei den Osmanen Verrat geübt. de Nicolay wirft ihnen sogar vor, dass sie, nachdem sie aus Spanien und Portugal vertrieben worden waren, ihre Kenntnisse und handwerklichen Fähigkeiten nicht nur in den Dienst der Osmanen stellten, sondern diese sogar darin unterwiesen. Hakluyt berichtete 1599 im dritten Band seiner Principal Navigations von einem jüdischen Arzt, der von den Osmanen nach Rhodos geschickt worden war, um dort zu spionieren.23 Hinsichtlich der Belagerung dienten Marlowe neben der historischen Lektüre eventuell Mitteilungsblätter als Quelle. England nahm Anteil am Schicksal des bedrängten Malta und es existieren zumindest zwei solcher Schriften von 1565, die Marlowe zugänglich gewesen sein könnten.24 Eine weitere Quelle sowohl für The Jew of Malta als auch für The Massacre at Paris wäre das 1547 erschienene Pamphlet Legende de Saint-Nicaise, das 1581 unter dem Titel La Légende de Dom Claude de Guise, Abbé de Cluny erneut in Druck ging. Als Autor wird Gilbert Regnaut vermutet. Claude Fiacre, der als ein illegitimer Sohn von Claude de Guise galt, wird in dieser Schrift einer Reihe von Verbrechen bezichtigt, derer man eigentlich den Herzog von Guise verdächtigte. Dazu zählten zahlreiche Vergiftungen.25 H. D. Purcell ist der Ansicht, Marlowe hätte Fortescue Whetstones The English Mirror nicht nur für 1 Tamburlaine, sondern auch für The Jew of Malta benutzt. Die angeführten Beispiele sind jedoch nicht wirklich überzeugend.26
Die durchwegs positive Darstellung der osmanischen Abgesandten vor allem im Vergleich mit den Spaniern könnte propagandistische Hintergründe haben. England lebte damals in der Angst vor einen katholischen Weltverschwörung, die in der Invasion der Insel hätte enden können. Wenn wir auch heute wissen, dass diese Annahme unbegründet war, für die Elisabethaner war sie real. Eine Bedrohung durch die Osmanen hingegen war ihnen völlig fremd. Andersgläubige wie die Moslems ehrlicher und vertrauenswürdiger als die Katholiken darzustellen, erschien nicht so abwegig. Politisch und wirtschaftlich gab es tatsächlich Annäherungen seitens England an das Osmanische Reich.27 Berührungspunkte mit dem Theater waren nicht gegeben, eine wohlwollende Darstellung vor einem breiten Publikum kam aber vermutlich nicht ungelegen.
Antikatholizismus
In Marlowes unmittelbarer Umgebung gab es so gut wie keine Juden. Ashkenazische Juden aus Nordeuropa verliehen Geld an William, den Eroberer, den sie nach England begleiteten.28 Die ersten jüdischen Gemeinden entstanden in Oxford und Cambridge während des 11. Jahrhunderts. Als Richard I. am 3. September 1189 in London gekrönt wurde, begann der englische Pöbel landesweit mit der Ermordung seiner jüdischen Mitbürger. In der Hauptstadt kam es zu derartigen Ausschreitungen, dass Richard von Devizes bereits von einem "holocaustum" sprach.29 Am 18. Juli 1290 erließ Edward I. das Ausweisungsedikt, das alle Juden zwang England zu verlassen und erst 1655 aufgehoben wurde. Zu einer erneuten minimalen Ansiedelung kam es erst, als in Spanien am 31. März 1492 Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon das Alhambra-Edikt unterzeichneten. Es verfügte, dass alle Juden spanisches Territorium bis zum 31. Juli des Jahres zu verlassen hatten, sofern sie nicht zum Christentum übertraten. Die Konsequenz war zunächst die Abwanderung von an die 100.000 Juden, die einen beachtlichen Teil der finanziellen, medizinischen und intellektuellen Elite gebildet hatten. An der aufrichtigen Überzeugung der verbliebenen Konvertierten, die Marranen genannt wurden, regte sich schon früh der christliche Zweifel. Die Inquisition beobachtete die sie mit Argusaugen, ob sie nicht heimlich ihrem alten Glauben nachgingen, was als Form der Häresie angesehen und mit dem Scheiterhaufen bestraft wurde. Daher ließen sich in den folgenden Jahren immer mehr Marranen außerhalb des spanischen Einflussgebiets nieder. Einige gelangten bis nach England, und ließen sich heimlich auf der Insel nieder, was den englischen Herrschern durchaus bekannt war. Von einer kleinen marranischen Gemeinde in London konnte man ab den 1530er Jahren sprechen. In den nächsten Jahren wuchs sie auf ca. hundert Mitglieder, die kaum Aufmerksamkeit erregten. Erst unter Elizabeth I. erlangten Marranen wie Hector Nuñez und Rodrigo Lopez für kurze Zeit wirtschaftliche wie politische Bedeutung, ohne dass ihre eigentliche Religion dabei nach Außen hin eine Rolle gespielt hätte.30
Seit dem Mittelalter waren in England Juden nicht als Geldverleiher, dem traditionell "jüdischen" Beruf, tätig. Wer in London Geld brauchte, ging zu Männern wie Horatio Palavicino, der Leicesters Kampfeinsatz in den Niederlanden finanzierte, Thomas Sutton oder Philip Henslowe. Ein Zinssatz von zehn Prozent wurde als fair angesehen. Damit lag man aber immer noch weit über dem der jüdischen Finanziers auf dem Festland, die oft nur sechs Prozent verlangten.31 Barabas entsprach nicht dem stereotypen Bild des bösen Juden aus dem Mittelalter, sondern war in vielerlei Hinsicht die Personifizierung des modernen, aufstrebenden, internationalen Kapitalisten, den man in England noch nicht allzu lange kannte. Vom Beginn der Reformation bis in die 1570er Jahre waren die Engländer mit nationalen Problemen beschäftigt. Durch Elizabeth I. kam das Land innerlich zur Ruhe und konnte sich von nun an sowohl um die Außenpolitik als auch um den internationalen Handel kümmern. Englische Händler und Investoren übernahmen die Methoden der Unternehmer vom Festland, was von etlichen Zeitgenossen kritisch betrachtet wurde. Sie empfanden besonders den Verfall ethischer Werte in der Wirtschaft als Ergebnis eines schändlichen, ausländischen Einflusses.32 Die eindeutige Gemeinsamkeit, die Marlowes Titelheld mit den in England lebenden Juden hatte, war die weitverzweigte Handelstätigkeit. Durch die massive Abwanderung der Juden aus Spanien erstreckten sich große Familien über den ganzen Kontinent. Demzufolge entstand ein internationales Netz, das Waren und Informationen von der Levante bis zu den Indischen Inseln transportierte. Abgesehen von einigen englischen Investoren waren die Engländer von diesem profitablen Handel ausgeschlossen. Spanien verhängte 1585 ein Handelsembargo, das England von der Unterstützung der Niederlande abbringen sollte. Elizabeth I. reagierte ihrerseits mit einem Embargo gegen Spanien. Die Engländer hatten daher keine Möglichkeit auf spanischem Gebiet zu arbeiten, das war nur jüdischen Kaufleuten möglich.33
Ironischerweise war das Fehlen von Juden für die Manifestierung von antisemitischen Stereotypen viel hilfreicher. Man konnte sie auf der Kanzel der abscheulichsten Taten und widerlichsten Riten beschuldigen, ohne – wie auf dem Kontinent – damit rechnen zu müssen, dass aufgebrachte Christen im nächsten Ghetto ein Massaker anrichten würden.34 In den Augen des elisabethanischen Publikums und mit Sicherheit auch in Marlowes war ein Jude eine abstrakte Figur aus der Bibel, der Geschichte oder fremden Ländern. Keineswegs war es eine reale Person, die man kannte oder mit der man im eigenen Land Geschäft machte. Für den Elisabethaner war ein Jude nicht begreifbar, weil es ihm gelingen konnte, durch eigenes Können zu Geld und Ansehen zu kommen, womit er eindeutig im Widerspruch zur hierarchischen Gesellschaftsordnung stand und zum Topos für die Angst vor sozialer Veränderung wurde.35 Gleichzeitig war er auch nicht greifbar. Im ausgehenden 16. Jahrhundert entwickelte sich das englische Nationalbewusstsein. Der "wahre" Engländer war auf der Insel geboren, hatte anglosächsische oder normannische Vorfahren und war Anglikaner. Dem gegenüber stand der Jude, der keine eigentliche Heimat hatte und einer anderen Religion angehörte, aber über eine Anpassungsfähigkeit verfügte, die es den Engländern nicht erlaubte, den "Fremden" als solchen zu erkennen. Die Ablehnung des Elisabethaners gegenüber den Juden resultierte aus politischen und religiösen Überlegungen, aber keinesfalls aus rassischen Vorurteilen.36 Wahrscheinlich machte sich weder Marlowe noch sein Publikum Gedanken, ob und wie weit dieses Drama antijudaistische Animosität heraufbeschwören würde. Zum einen entsprachen solche Überlegungen nicht der Denkweise im ausgehenden 16. Jahrhundert und zum anderen fehlten, wie gesagt, reale Mitmenschen, die diese Animositäten tatsächlich verspürt hätten. Juden entsprachen jedenfalls nicht dem typischen elisabethanischem Feindbild. Diese Position blieb Männern wie Henri de Lorraine, Herzog von Guise oder Philipp II. von Spanien und den Katholiken ganz allgemein vorbehalten. Somit liegt das wirklich Perfide in The Jew of Malta nicht in der Präsentation allgemein bekannter Stereotypen und antijudaistischer Vorurteile, sondern darin, dass Marlowe sein Publikum in das Dilemma brachte, sich entweder für den Juden oder die Katholiken entscheiden zu müssen.37 Denn das Überleben der Christen hat in dem Stück keine moralische Rechtfertigung. Barabas stellt stets diejenigen bloß, die sich selbst ihrer Christenheit rühmen, aber nie christlich handeln: "Marlowe’s primary purpose is not to justify the Jew, but to belabour the Christian."38
Noch vehementer als in 1 Tamburlaine wird in The Jew of Malta die Maxime propagiert, man müsse gegenüber Andersgläubigen nicht Wort halten. Angeblich geht sie auf das Konzil von Konstanz zurück, bei dem Jan Huss eine Immunität zugesichert wurde, die ihn direkt auf den Scheiterhaufen brachte. Prominente Anhänger dieser Praktik waren unter anderem Thomas Lupton in A Persuation from Papistrie aus dem Jahre 1581 oder Jean Bodin in den Six Livres de la République.39 Tatsächlich hätte sich Marlowe gar nicht in irgendwelche Schriften vertiefen müssen, ein Blick in die alltägliche Politik hätte genügt. Karl V. wollte 1533 alle Juden aus Neapel ausweisen lassen. Als die jüdische Gemeinde ihm 10.000 Dukaten zahlte, versprach er einen Aufschub von zehn Jahren. Sieben Jahre später brach der Kaiser sein Versprechen. Henri II. weigerte sich seine Schulden an Gracia Mendez zu zahlen, als Gerüchte aufkamen, sie würde heimlich wieder den jüdischen Glauben praktizieren. Eine päpstliche Bulle von 1555 schloss die Juden ohnehin dezidiert von der christlichen Nächstenliebe und Toleranz aus.40 Faktisch war im ausgehenden 16. Jahrhundert der Wortbruch zwischen Christen und Juden weniger häufig, als der zwischen Christen und Christen. Gerade während der französischen Religionskriege wurden sowohl seitens der Hugenotten als auch der Katholiken Vertragsbrüche mit der Andersgläubigkeit des Gegners begründet. Mit The Massacre at Paris widmete Marlowe dieser Entwicklung sogar ein eigenes Werk.
Kapitalismus
Vom Beginn der Reformation bis in die 1570er Jahre waren die Engländer mit nationalen Problemen beschäftigt. Durch Elizabeth I. kam das Land innerlich zur Ruhe und konnte sich von nun an sowohl um die Außenpolitik als auch um den internationalen Handel kümmern. Englische Händler und Investoren übernahmen die Methoden der Unternehmer vom Festland, was von etlichen Zeitgenossen kritisch betrachtet wurde. Sie empfanden besonders den Verfall ethischer Werte in der Wirtschaft als Ergebnis eines schändlichen, ausländischen Einflusses.41 Auf dem Kontinent war die Habsucht schon länger zu einer der bestimmenden Triebfedern der gesellschaftlichen Evolution geworden. Den ersten Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in der elisabethanischen Epoche. Das magische Wort, das die Aufmerksamkeit aller erregte, lautete: Geld. Abenteurer, Aufsteiger, Glücksritter, Neureiche und Ausbeuter hatten ihre Sternstunden.42 Marlowes Helden passen hervorragend in diese Zeit. Rücksichtsloses Streben nach Macht und Vermögen wird wiederholt thematisiert, jedoch nirgends so augenscheinlich wie in The Jew of Malta. Diesem Malta fehlen wie gesagt die Malteser. Es gibt Italiener, Spanier, Osmanen, Afrikaner und Juden. Diese offensichtliche Absenz einer geografischen Zugehörigkeit durch Geburt verstärkt den Eindruck, dass den handelnden Personen Beweggründe wie Patriotismus oder Nationalismus fremd sind. Stattdessen werden sie von persönlichem Eigennutz getrieben, der nicht fragt, woher man kommt, sondern was man aus dem Ort, an dem man sich gerade befindet, für sich selbst herausholen kann.43 Die Seefahrer fuhren nicht einfach in neue Länder, sie nahem sie in Besitz, töteten die Bevölkerung und beuteten die Ressourcen aus. Sie "konsumierten" sie, wie Tamburlaine in 2 Tamburlaine (IV,1,194-195).44 Marlowe vermittelte die Errungenschaften der zeitgenössischen Entdecker wie kein anderer englischer Literat.45 Das einigende Moment der heterogenen Gesellschaft auf Malta ist die Gier nach Reichtum in etlichen Variationen.46 Nicht von ungefähr wurde in The Jew of Malta erstmals auf einer englische Bühne ein Sklavenmarkt gezeigt.47 Barabas betrachtet seine Tochter als wertvolle Ware, in die er investiert hat. Sobald sie sich weigert, diese Funktion weiterhin zu erfüllen, wird sie durch eine weitere Investition – Ithimore – ersetzt.48 Selbst menschliche Beziehungen sind zu einer geschäftlichen Transaktion geworden: "Barabas braucht einen Menschen, weil er ihn benutzen will: Folglich geht er auf den Markt und kauft ihn sich."49
Massive Ausgaben und Konsum waren ein Zeichen von Luxus wie auch ein Weg die Gunst anderer zu erlangen.50 Das trifft auf alle Werke Marlowes zu und würde seine Vorliebe für Luxusgegenstände51 erklären, denn für Marlowe ist Schönheit kein Luxus sondern Macht.52 Dem entsprechend ist bei ihm das Werben um eine Frau eine frühkapitalistische Verhandlung mit Sieg und Niederlage und kein Akt der Zuneigung,53 wie die Verhandlungen um Abigail zwischen Barabas und Lodowick zeigen.
Wirkungsgeschichte
Vom 7. März 1592 bis zum 1. Juli 1596 wurde das Drama insgesamt 36 Mal gespielt, was Henslowe 62 Pfund 2 Shillings 6 Pence (ca. 9.190,63 €) einbrachte. Das entsprach dem Einkommen eines Bauarbeiters für 3 Jahre und 150 Tage oder dem Preis für sieben Pferde.54 Damit war es sowohl das am häufigsten gespielte als auch das ertragreichste Werk, das im Henslowe Diary verzeichnet ist. Die Titelrolle spielte damals Edward Alleyn. Die Wirkung muss ähnlich enorm gewesen sein wie bei 1 Tamburlaine, denn noch Jahre später beschäftigten die Aufführungen Englands Literaten. 1612 wurden die Epigramme von Sir John Harrington veröffentlicht, der der Nachwelt mehr durch seine Erfindung der Wassertoilette als durch seine Dichtung in Erinnerung blieb. In Of A Devout Usurer heißt es:
"Was ever Jew of Malta or of Milan
Than this most damned jew more jewish villain?"55
Wegen der Anspielung auf eine Predigt von Henry Smith über die Wucherei, wird angenommen, das Epigramm entstand bereits 1592. Einen Tag bevor das Drama ins Stationers' Register aufgenommen wurde, ließ John Danter eine Ballade mit dem Titel the murtherous life and terrible death of the riche Jew of Malta eintragen. Leider ist nicht mehr darüber bekannt.56 In Platoes Cap. Cast at the Yeare 1604, being Leape-yeare, das 1604 von Jefrey Chorlton gedruckt wurde und eventuell von Thomas Middleton stammt, drückt der Verfasser ironisch aus, dass es für die Bierbrauer schon ein Akt des Vergiftens wäre, wenn ihr Gebräu tatsächlich Malz enthalten würde: "it is … much to bee doubted … that each Ale-brewer will play the Jewe of Malta, and put but a little Malt in the Ale: so I hope there will bee fewer Red-noses this yere than was of a Yeere a great while."57 William Rowley sprach in dem Pamphlet A Search for Money (1609) über die künstliche Nase, die Barabas auf der Bühne trug.58
Als Rodrigo Lopez wegen Verrats verurteilt wurde, galt er als ein Verschwörer im Dienste Spaniens. Seine Religionszugehörigkeit war dabei nie ein Thema.59 Dennoch vermutet Margaret Hotine in den Aufführungen von The Jew of Malta 1594 eine gezielte antisemitische Propaganda im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Lopez. Der Fall wurde der Öffentlichkeit erst bekannt, als der Arzt in den Tower gebracht wurde.60 Dem widerspricht, dass die Wiederaufnahme des Dramas bereits am folgenden Tag stattfand (Henslowe hatte das Stück über ein Jahr nicht gespielt.), was – berücksichtigt man die notwendige Probenzeit – Henslowe als geradezu unheimlich voraussehenden Mann charakterisieren würde. Im Laufe des Jahres fanden vierzehn weiteren Aufführungen des Stücks statt. Zwischen Anfang Februar und Mitte Mai war das Rose allerdings nur zwölf Tage geöffnet und im Juni spielten die Admiral’s Men in Newington Butts. In diese Schließzeiten fielen die Urteilsverkündigung, der Tag für die geplante Hinrichtung und die tatsächliche Hinrichtung von Lopez. Falls also tatsächlich jemand wie Essex mithilfe von Marlowes Drama die Stimmung im Volk gegen den Juden hätte aufbringen wollen, machte ihm der Master of the Revels einen Strich durch die Rechnung.
Den Kessel, der im fünften Akt gebraucht wird, listete Henslowe 1598 in einem Inventarverzeichnis auf. Im Mai 1601 gab er stolze 5 Pfund 10 Shillings für diverse Dinge für The Jew of Malta aus, was für eine Wiederaufnahme sprechen könnte.61
Aus dem Quarto geht hervor, dass die Queen Henrietta’s Men das Stück 1633 in Whitehall und im Cockpit Theatre zeigten. Für diese Gelegenheiten schrieb Thomas Heywood jeweils einen Prolog und Epilog. Zwar stimmte Charles I. den Wiederaufnahmen solcher Dramen ihres royalistischen Tenors wegen zu, gestatte damit aber, dass die in der Tudorzeit typischen Angriffe auf den Katholizismus, nun gegen ihn verwendet werden konnten, da seine eindeutig katholischen Tendenzen seine Untertanen ebenso verunsicherten, wie die Versuche einen den Engländern fremden Absolutismus zu etablieren.62 Genauso könnten die Aufführungen und der Druck durch Nicholas Vavasour für eine völlig andere Lesart stehen, bei der nicht die katholisch-protestantischen Divergenzen, sondern der von Erzbischof William Laud geführten Kampf der englischen Kirche gegen die im Land lebenden Anhänger des Calvinismus, ausschlaggebend war.63
Während der Restauration blieb auch The Jew of Malta unbeachtet. 1780 wurde das Stück von Isaac Reed in der Zweitausgabe von Robert Dodsleys Selection of Old Plays in England wieder herausgebracht.64 Am 24. April 1818 spielte das Dury Lane Theatre The Jew of Malta mit Edmund Kean in der Titelrolle, der sich das Stück selbst ausgesucht hatte. Trotz des Lobs für seine Darstellung kam es lediglich zu elf Aufführungen. Der Grund für die Absetzung könnte in dem Unbehagen gelegen haben, dass die Produktion sowohl bei den heimlichen Antisemiten als auch bei den erklärten Philosemiten ausgelöst hatte.65 Immerhin war Marlowe damit auf die englische Bühne zurückgekehrte.
Mittlerweile erweckt das Werk ethische und moralische Einwände, die für das Publikum vergangener Jahrhunderte unvorstellbar waren.66 Ob es sich bei The Jew of Malta um ein antisemitisches Drama handelt oder nicht, ist für die Forschung wie für die Theaterschaffenden von zentraler Bedeutung. Blickt man auf die Situation der Juden in England zur Zeit Marlowes, wird klar, dass Antisemitismus in einer Form existierte, die nicht mit dem Rassenwahn des 19. und 20. Jahrhunderts identisch ist. Das Judentum wurde als Religion angesehen, die im Widerspruch zum Christentum stand. Ein Konfessionswechsel machte den ehemaligen Juden, zu einem vollwertigen Mitglied der christlichen Gemeinschaft, weshalb man bis ca. 1800 von Antijudaismus spricht. Als dieser 1897 längst durch einen rassistisch bedingten Antisemitismus ersetzt worden war, schrieb Eugen Mory:
"Hat Barabas schon wenig von einem Juden an sich, so besitzt Abigail noch weniger von einer Jüdin. Sie ist weder lebhaft noch phlegmatisch, sie zeigt nichts von jener Abneigung gegen häusliche Beschäftigung, die den Israelitinnen eigen ist; […]"67
Folglich kommt er zu dem Schluss, dass weder Shakespeare noch Marlowe jemals wirklich Juden getroffen haben, denn beide Dramatiker haben deren rassischen Merkmale nicht berücksichtigt. Und auch den Nazis war Marlowe nicht antisemitisch genug, spielten sie sein Stück doch lediglich in einer Umarbeitung. Otto C. A. zur Nedden, Dramaturg des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, fabrizierte 1939 Der Jude von Malta. Schauspiel in fünf Akten nach der Idee von Christoph Marlow,68 das im März desselben Jahres in Weimar seine Uraufführung erlebte. In der Regie von Lutz Heinle spielte Walter Grüntzig die Titelrolle.69 Am 24. April 1939 gab es sogar eine Sondervorstellung für die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft. Diese Prosa-Bearbeitung wird in jeder Hinsicht den ideologischen Anforderungen ihrer Entstehungszeit gerecht. Abigail ist ein Waisenmädchen, das in Barabas Haus als Christin aufgewachsen ist. Ithimore hat einen griechischen Vater, eine türkische Mutter und selbstverständlich einen jüdischen Großvater. Barabas ist in einer Synagogen-Szene sogar als Rabbi tätig. Die Bellamira-Szenen wurden zusammengefasst, wobei Pillia-Borza jedoch wegfiel.70 Dem Burgtheater schlug Heinrich Himmler in einem Telegramm vom 24. April 1939 die Aufführung von Neddens Adaption vor71 und der Werkverlag wollte diese Version gerne an den Münchner Kammerspielen aufgeführt sehen. Der dortige Dramaturg verwies allerdings erfolgreich darauf, dass zur Neddens Adaption Marlowe nicht angemessen sei.72
Somit ist The Jew of Malta kein vom Nationalsozialismus instrumentalisiertes Werk wie etwa die Opern Richard Wagners, obwohl sich das noch nicht allgemein herumgesprochen hat. Andres Müry versicherte seiner Leserschaft anlässlich einer Premiere im Wiener Burgtheater:
"Kein Wunder, dass "Der Jude von Malta", das Gräueldrama des Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlowe, bei den Nazis in hohem Ansehen stand und nach 1945 im Giftschrank der Dramaturgien verschwand."73
Rein vom Inhalt ausgehend werden Vertreter der drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam gezeigt, wobei eindeutig die Moslems am besten wegkommen. Sie sind kompromissbereit, fair und vertragstreu, was ihnen im christlich regierten Malta nur Verdruss bringt. Dass in diesem Drama Religion hauptsächlich Mittel zum Zweck ist und die Häufung von antisemitischen Stereotypen nicht zwingend auf den Juden Barabas zurückfällt, wird mittlerweile auch von Kommentatoren im deutschsprachigen Raum akzeptiert, für die hier stellvertretenden Joachim Zelter zu Wort kommt:
"Während Shylock in Shakespeares The Merchant of Venice (1596–97) nicht mehr als 360 Zeilen spricht und bereits in dieser Hinsicht eine marginalisierte Figur ist, steht Barabas in The Jew of Malta im Zentrum aller Aktivitäten. Er ist weniger Objekt als vielmehr handelndes und sprechendes Subjekt der antisemitischen Klischees in Marlowes Drama. Dies aber führt zu einer Umkehrung der üblichen Blickrichtung: nicht mehr der antisemitische Blick der herrschenden Verhältnisse auf einen jüdischen Außenseiter, sondern der kritische Blick dieses Außenseiters auf das Christentum. Eine solche umgekehrte Blickrichtung impliziert auch die Inversion fest etablierter Glaubensstandpunkte. Damit hält er dem Christentum unter verkehrten Vorzeichen genau das vor, was üblicherweise dem Judentum angelastet wird: das Andersartige als Perversion des eigenen Standpunktes, der als einzig wahrer und möglicher Standpunkt gesehen wird."74
Die entscheidende Frage sollte also nicht lauten, ob man das Drama zeigen kann, sondern wie man es zeigt, denn das Stück ist, im Gegensatz zu Veit Harlans Jud Süss, kein Propagandawerk im Auftrag des Staats um antisemitische Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren.
"Transposed in a period following the curse of Nazism, the act of composing such a play would be inexcusable. The Jew of Malta performed in modern dress would be, at the very least, a dangerous blunder."75
Übersetzungen
Erzherzog Ferdinand berief 1607 eine Truppe englischer Schauspieler unter der Leitung von John Green an den Grazer Hof. Als er zum Reichstag nach Regensburg aufbrach, begleiteten sie ihn zumindest bis Passau, wo sein Bruder Leopold als Bischof residierte. Dort führten sie unter anderem Ende November die Comedi von dem Juden – mit ziemlicher Sicherheit The Jew of Malta – auf. Im Jahr darauf wurde in Graz die Verlobung von Maria Magdalena, einer Schwester Ferdinands, mit Cosimo II. de' Medici, dem Großherzog der Toskana, gefeiert. Während dieser Zeit spielte Greens Truppe wieder in Graz. In einem Brief Maria Magdalenas an ihren Bruder heißt es: "[…] am pfingsttag haben sy die von dem Juden gehalten, die sie auch zu passau gehalten haben; […]"76 Die Aufführung am 14. Februar 1608 ist daher die erste bekannte Darbietung des Stücks auf österreichischem Boden. Die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest Teile davon in Übersetzung gezeigt wurden, ist groß. Das Drama hielt sich im deutschsprachigen Raum, denn am 31. Juli und 29. August 1626 wurde es in Dresden gezeigt. Im Mai 1651 suchte Johann Schilling in Prag um die Erlaubnis an, einige Theaterstücke zu zeigen, darunter war auch Der Jude von Malta. Im Laufe der Zeit verschmolzen bei den Darbietungen mehrere Stücke und unterschiedliche Handlungsstränge zu einem neuen Werk, das durch Übersetzung oder Bearbeitung zusätzlich verfremdet wurde, wie bspw. das Bühnenmanuskript Comoedia Genandt dass Wohl Gesprochene Uhrtheil Eynes Weiblichen Studenten oder Der Jud Von Venedig zeigt. Es stammt vom Ende des 17. Jahrhunderts, und enthält unter anderem Elemente aus The Jew of Malta und The Merchant of Venice.77
Allgemein ist nachzulesen, dass die erste gedruckte Übersetzung von The Jew of Malta ins Deutsche 1831 durch Karl Eduard von Bülow erfolgte.78 Sie wurde 2008 wieder aufgelegt. Tatsächlich existierte bereits 1808 eine Übersetzung von Karl Ludwig Kannegiesser.79
Bruno Max eröffnete am 10. Jänner 1995 das Scala Theater in Wien mit Der Jude von Malta. Laut Auskunft des Theaters stammt die Übersetzung von Max selbst.80
Drei Jahre nach Erich Frieds Tod wurde seine im Nachlass gefundene Übersetzung herausgebracht.81 Als Peter Zadek das Stück 2001 am Burgtheater inszenierte, wollte er eine neue Übersetzung von Elfriede Jelinek, die bis dahin hauptsächlich Dramen aus dem Französischen und einen Roman von Thomas Pynchon übersetzt hatte. Da Jelineks Kenntnisse des Englischen nicht ausreichten, arbeitete sie mit Karin Rausche zusammen. Die Übersetzung ist bis jetzt nicht eigenständig erschienen, wurde aber im Programmheft abgedruckt.82 Für Jussenhoven & Fischer übersetzte Wolfgang Swaczynna Die berühmte Tragödie von dem reichen Juden von Malta, die der VDB (Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage) 2008 in seinen Katalog aufnahm.
Vertonung
Am 27. April 2002 hatte anlässlich der 8. Münchner Biennale die Kammeroper Der Jude von Malta ihre Uraufführung. Komponist André Werner schrieb auch das Libretto, wobei er sich auf Bülows Übersetzung stützte. Das 75minütige Werk wurde von Stefan Herheim in einer Ausstattung von Jan A. Schroeder inszeniert.
Verfilmung
Trotz Aufführungen mit namhaften Darstellern wie Alun Armstrong oder F. Murray Abraham wurde nie eine Theaterproduktion aufgezeichnet. Douglas Morse verfilmte das Stück 2012 mit Seth Duerr in der Titelrolle. Der Film dürfte in Europa nicht in die Kinos gekommen sein und erschien nie auf DVD.83
Hörspiel
Im Herbst 1993 sendete BBC Radio 3 eine Hörspielversion mit Ian McDiarmid in der Titelrolle.
- Ule (1979)↩︎
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- Meissner (1884), 78↩︎
- Meissner (1884)↩︎
- Marlowe (1831)↩︎
- Meissner (1884)↩︎
- Als ich meine Dissertation schrieb, ersuchte ich das Scala Theater, das Textbuch einsehen zu dürfen. Man versprach man mir das Anliegen zu prüfen und mich zu kontaktieren. Ob man dort gemeint hat, die Übersetzung würde einem theaterwissenschaftlichen Blick nicht standhalten, das Buch oder meine Telefonnummer verloren hat, kann ich nicht sagen, denn das Scala Theater hat sich nie wieder gemeldet.↩︎
- Marlowe (2003)↩︎
- Oberger (2004)↩︎
- Basso (2013)↩︎