Edward II.

Edward II. (* 25. April 1284; † 21. September 1327) war der vierte und einzige überlebende Sohn von Edward I. und Eleanor von Kastilien.
Der größte Mangel von Henry II. war seine Unfähigkeit Söhne zu zeugen, die ihm gerecht werden konnten. Hundert Jahre später sollte es seinem Urenkel ebenso ergehen. Edward I. war einer der wichtigste Herrscher aus dem Hause Anjou-Plantagenet. Er stärkte das Königtum gegenüber dem Hochadel, dem er 1265 in Eversham eine bedeutende Niederlage beibringen konnte, nahm am 7. Kreuzzug teil, drängte den Einfluss der Kirche zurück, baute eine funktionierende Verwaltung auf, reformierte die Gesetze, gliederte Wales in sein Reich ein und wurde Oberlehnsherr über Schottland. 1295 berief er ein Parlament ein, in dem auch die commons (Gemeinen) vertreten waren. Damit drängte er nicht nur den Feudalismus zurück, sondern wurde auch der Vater des englischen Parlamentarismus. Dazwischen fand er noch Zeit, zweimal zu heiraten und insgesamt nicht weniger als neunzehn Kinder zu zeugen. An solch einem Vater gemessen, konnte sein Nachfolger nur als Schwächling in die Geschichte eingehen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Edward I. seinem Sohn ein schweres Erbe aufbürdete: Innenpolitisch ließ der englische Adel nichts unversucht, um wieder mehr Eigenständigkeit zu erlangen, außenpolitisch dauerte der Kampf mit Schottland an, der Friede mit Frankreich war bestenfalls fragil und wirtschaftlich befand sich das Land in keinem guten Zustand.
Obwohl Edward I. und seine Frau eine glückliche Ehe führten, hatten sie zu keinem ihrer Kinder eine enge Bindung. Edward bekam seine Eltern kaum zu sehen. Ab 1297 wurde der Kronprinz auf seine künftige Rolle als König vorbereitet. Zu Lebzeiten seines Vaters deutete nichts darauf hin, dass er dafür ungeeignet wäre. Er nahm an Ratssitzungen teil, war ein guter Kämpfer und erfüllte sämtliche Repräsentationsaufgaben. 1301 wurde er von Edward I. zum Prince of Wales ernannt. Edward war der erste englische Thronfolger, der diesen Titel erhielt. Da er keine Brüder hatte, stellte Edward I. für seinen Sohn einen Stab aus etwa gleichaltrigen Edelmännern zusammen. Einer von ihnen war Piers Gaveston, der rasch eine enge Beziehung zum Thronfolger aufbaute. Wie eng sie tatsächlich war, ist Gegenstand von Diskussionen. Männerfreundschaften, die heute als überdurchschnittlich herzlich angesehen würden, waren im Mittelalter alltäglich, allerdings erschien bereits den damaligen Zeitgenossen diese Verbindung zu maßlos. Ob es sich dabei tatsächlich um eine homosexuelle Beziehung im heutigen Sinne gehandelt hat, ist wenngleich möglich, nach wie vor nicht bewiesen. Anfang 1307 schickte Edward I. Gaveston vorübergehend in die Verbannung. Edward II. hob diese als eine seiner ersten königlichen Handlungen auf und macht ihn zum Earl von Cornwall. Er überschüttete seinen Favoriten mit Gunstbezeugungen. Das ändert sich auch nicht, nachdem Edward II. einer Vereinbarung mit Frankreich nachkam und am 25. Jänner 1308 Isabella, die Tochter Philippe IV. von Frankreich, geheiratet hatte. Trotzdem kam es nie zu einem Konflikt zwischen der Königin und Gaveston. Er interessierte sich überhaupt nicht für sie und sie war klug genug, sich nicht zwischen ihn und den König zu stellen. Anders verhielt es sich mit dem englischen Hochadel. Dessen Widerstand hatte sich bereits gegen Ende der Herrschaft von Edward I. geregt. Sein Sohn dürfte ihnen von Beginn an den Eindruck eines höchst schwachen Herrschers vermittelt haben. In der Tat entsprach Edward II. nicht den Vorstellungen eines mittelalterlichen Monarchen. Er war ein großer, gutaussehender Mann, der zu kämpfen wusste, das aber nur ungern tat. Trotz seiner Reitkünste, interessierte er sich weder für die Jagd noch die Falknerei. Dafür pflegte er für seine Zeit sehr unkönigliche Hobbys wie Musik, Rudern und Schwimmen. Er war so gesellig, dass er selbst mit seinen Untergebenen Umgang pflegte, was ebenfalls beim Adel für Befremden sorgte. Andererseits schreckte seine Rachsucht nicht einmal vor Familienmitgliedern zurück.
Gaveston sonnte sich in der Gunst des Königs und brüskierte Englands führende Adelige fortwährend. Die Ablehnung gegenüber Gaveston sowie die vermutete Schwäche des Herrschers veranlassten den Adel neben der Verbannung des Günstlings gleichfalls Reformen zu fordern, die eine Stärkung ihrer Autonomie und des Parlaments gegenüber der Krone bedeuteten. Edward II. musste diesen sogenannten Ordinances 1311 zustimmen. Die nächsten elf Jahre waren von teilweise gewaltsamen Konfrontationen um die Aufhebung bzw. Durchsetzung dieser Verordnungen zwischen dem König auf der einen Seite und dem englischen Hochadel auf der anderen Seite geprägt. Den ersten Höhepunkt erreichten sie 1312, als einige Lords unter keineswegs ehrenvollen Umständen Gaveston hinrichten ließ. Mehrere Adelige unterstützen darauf hin Edward II. Man fand letztlich einen Kompromiss, der eigentliche Konflikt blieb weiterhin bestehen. Mal behielt die eine Seite die Oberhand, mal die andere. Edward II. erfuhr im Juni 1314 einen herben Rückschlag, als er von den Schotten in der Schlacht von Bannockburn vernichtend geschlagen wurde. Zwar gab es in dieser Zeit weitere Günstlinge wie Roger d’Amory, Hugh Audley oder William Montacute, sie alle blieben aber weit hinter der Bedeutung, die Gaveston gehabt hatte, zurück. Das änderte sich mit dem Auftreten Hugh Despensers jr. 1318 wurde er Lord Chamberlain des königlichen Haushalts und in kürzester Zeit der engste Vertraute des Königs. Im Gegensatz zu Gaveston war Despenser eine regelrechte Gefahr. Er gierte nach Land und vergriff sich mit Vorliebe an dem der Marcher Lords in Wales. Im August 1321 gelang es den führenden Adeligen Despenser mit seinem Vater ins Exil zu schicken. Bereits im Dezember kehrten sie zurück, da es mittlerweile zu Kampfhandlungen zwischen den Lords und Edward II. gekommen war. Während des sogenannten “Despenser War” triumphierte der Könige nach dem Sieg über die Marcher Lords, am 16. März 1322 in der Schlacht bei Boroughbridge gleichfalls über die Adelsopposition unter Führung des Earls von Lancaster. Edward II. ließ die führenden Lords hinrichten oder gefangen setzen. Er widerrief die Ordinances von 1311 und etablierte mit Hilfe der Despensers in den nächsten Jahren eine Tyrannei, die sowohl die königlichen Rachegelüste befriedigte als auch der schamlosen Bereicherung diente. Während die Despensers ihr Augenmerk auf Ländereien richteten, war Edward II. mehr an Geld interessiert. Seit 1311 war England von ökonomischen Krisen heimgesucht worden. 12 Jahre später war der Staatshaushalt erstmals saniert, weshalb sogar Rücklagen gebildet werden konnten, allerdings bemerkte die Bevölkerung davon nichts.
Gaveston hatte Isabella ignoriert. Despenser. hingegen setzte alles daran, sie zu diskreditieren, mit dem Ziel eine Scheidung herbeizuführen. Isabellas Bruder Louis X. war 1316 plötzlich verstorben, was den Beginn etlicher Turbulenzen in der französischen Thronfolge bedeutete. 1322 erhielt ihr jüngerer Bruder Charles IV. die Krone und verlangte vom englischen König den Lehenseid für die französischen Gebiete. Eine weitere Eskalierung des Konflikts konnte abgewendet werden, als Isabella und der englische Thronfolger Edward nach Frankreich reisten, damit der Prinz den Eid anstatt seines Vaters leisten konnte. Womit weder Edward II. noch Despenser gerechnet hatten, war, dass Isabella sich weigerte mit ihrem Sohn nach England zurückzukehren. Sie organisierte dank der Unterstützung ihrer Familie sowie etlicher englischer Adeliger, die vor den Despensers geflohen waren, eine Streitmacht, die am 24. September 1326 in England landete. Da Edward II. kaum Unterstützung im eigenen Land genoss, blieb ihm nur die Flucht. Er wurde gefangengenommen und über Monmouth Castle nach Kenilworth Castle gebracht. Es gab keine legale Möglichkeit den König abzusetzen, da dies nur durch das Parlament geschehen konnte, ein Parlament konnte jedoch nur der König einberufen, was Edward II. natürlich nicht tat. Es trat dennoch im Jänner 1327 zusammen, erklärte den König erwiesener Inkompetenz wegen für abgesetzt und rief seinen Sohn zum Nachfolger aus. Nach anfänglicher Weigerung verzichtete Edward II. am 20. Jänner 1327 auf den Thron.
Edward II. war derart unpopulär, dass niemand das rechtswidrige Verfahren beklagte. Trotzdem hatte er immer noch Anhänger, denn es gab mehrere Versuche ihn zu befreien. Diese Unternehmungen sind ebenso mysteriös, wie das tatsächliche Ableben des einstigen Monarchen. Am 3. April wurde er von Kenilworth nach Berkeley verlegt, wo Thomas Berkeley und sein Schwager John Maltravers für ihn zuständig waren. Beide hielten sich jedoch nur selten in dem Schloss auf. Am 21. September 1327 hieß es, der ehemalige König sei einer Krankheit erlegen. Die Beerdigung fand allerdings erst kurz vor Weihnachten statt. Entgegen der Gewohnheit, wurde Edward II. nicht in der Westminster Abbey, der traditionellen Begräbnisstätte der englischen Könige beigesetzt, sondern in der heutigen Gloucester Abbey. Im Laufe der Jahre bildeten sich um den Tod zahlreiche Legenden. So hieß es Edward II. wäre unter menschenunwürdigen Umständen gefangengehalten worden, bevor man ihn bestialisch ermordet hätte. Als im 19. Jahrhundert der sogenannte "Fieschi-Brief" auftauchte, entstand die Theorie, Edward II. wäre die Flucht gelungen, was von Isabella und Mortimer verheimlicht werden musste, weshalb sie seine Beerdigung nur vorgetäuscht hätten.1

Edward II

Marlowes Edward II. ist schwach, beeinflussbar, wankelmütig, egozentrisch, rachsüchtig und pflichtvergessen. Er kümmert sich nicht um die Politik, bringt für Gaveston das soziale Gefüge am Hof durcheinander und verschmäht seine liebende Gattin Isabella. Als König pocht er auf seine herrschaftlichen Rechte, ohne die dazugehörigen Pflichten wahrzunehmen. Sein Konflikt mit den führenden Adeligen dreht sich einzig um Gaveston und ist bereits in [Szene 1] so festgefahren, dass eine gütliche Lösung kaum mehr möglich ist.

Dieser Edward II. erträgt es nicht, alleine zu sein. Er braucht stets einen stärkeren Charakter an seiner Seite. Gleich zu Beginn ruft er Gaveston zu sich, weil sein Vater gestorben ist. Jede Trennung von Gaveston stürzt den König in eine emotionale Krise. Mit erstaunlicher Entschlossenheit schwört er Rache für Gavestons Tod (11,128-142) und beendet den Monolog mit der Ernennung Spencers zu seinem neuen Favoriten. Kaum ist die dominierende Figur im Leben des Königs verschwunden, muss er sie durch eine neue ersetzen. In seiner Monophobie wird Edward II. sogar seinen Mörder bitten, ihn nicht zu verlassen.

Die Ermordung

Wie Marlowe seinen Edward II. tötet, sorgt sowohl in der Forschung als auch bei den Theaterleuten seit Jahren für Kontroversen. (Als das Drama Anfang des 20. Jahrhunderts auf die Bühne zurückkehrte, wurde die Ermordung gar nicht gezeigt.2) Zwar verlangt Lightborn anfangs einen glühenden Spieß, eine Matratze und einen Tisch, aus dem Sprechtext geht jedoch nur hervor, dass er den Tisch bekommt. Es sieht so aus, als würde der König erdrückt und nicht, wie so oft kolportiert mit einem Spieß anal zu Tode penetriert.3 In Ermangelung einer Szenenanweisung bleibt die Möglichkeit bestehen, dass der Spieß dennoch auf die Bühne kam, weil die Schauspieler damals wussten, was sie zu tun hatten.4 Zwar findet sich diese Todesart bei Holinshed, allerdings nicht bei der Mehrheit der englischen Geschichtsschreiber. Ian Mortimer verglich einundzwanzig Chroniken von ca. 1330 bis ca. 1400 bezüglich der Angaben über den Tod Edward II., nur fünf erwähnen den glühende Metallspieß.5 In der vorliegenden Situation wäre das auch eine denkbar ungünstige Mordmethode gewesen. In [Szene 21] versicherte Lightborn Mortimer, niemand würde je erfahren, auf welche Weise der König gestorben sei. Später betonte Mortimer ihm gegenüber erneut, dass niemand herausfinden dürfe, wie Edward getötet worden sei. Er sollte demnach so rasch wie möglich und ohne Aufsehen getötet werden. Bei der Einführung eines glühenden Schürhakens in den Anus hätte es Tage gedauert, bevor Edward unter fürchterlichen Schmerzen gestorben wäre6 und die Todesursache wäre für jedermann erkennbar gewesen. Wahrscheinlich hat der glühende Spieß weniger mit englischer Historie als mit Lightborns dämonischem Erbe zu tun. Seine Wurzeln sowie sein Name stammen aus den Chester Mystery Plays.7

"This earlier Lightborn, as a follower of Lucifer the angel, is sent to Hell for his 'foule pryde', and there becomes secundus Demon. In that environment his normal equipment would naturally include a sharp-pronged fork and a red-hot spit."8

Betrachtet man die Quellen und die christliche Tradition, in der das Stück steht, können die Gewaltszenen nicht länger als psycho-sexuelle Anomalien des Autors angesehen werden.9

Der bühnenwirksame Darstellung einer sadistischen Pervertierung des Geschlechtsakt mittels eines glühenden Spießes fehlt die textliche Unterstützung. In dieser Szene wird nicht Edward, der Homosexuelle, sondern Edward, der König, von seinen Feinden zerstört. Die erniedrigenden Umstände unter denen Edward zu Tode kommt, ist eine Demontage des königlichen Status, nicht der Person. Marlowes Demaskierung des Königs als Mensch reicht weit über Shakespeares Henry V, wo ein Monarch von sich selbst behauptet, er sei ein Mensch wie jeder anderer und diese Ansicht im selben Atemzug relativiert (Henry V. IV,1,115-125). Edward ist es nicht vergönnt am Lagerfeuer müßige Spekulationen über seinen Rang anzustellen. Er muss am eigenen Leib erfahren, dass ihn weder Stand, Erbrecht noch die Krone vor Verrat, Erniedrigung, Grausamkeit, Leid und letztlich Tod schützen. Die Sterbeszene Edward II. gehört zu dem Radikalsten, was Marlowe je geschaffen hat. Es ist "[…] the dissolution of the sacred category of king, and the revelation that kingship is not intrinsic to the person, nor affirmed by God, but dependent on power."10 Das ethische Verbot, einen gesalbten König zu töten, ist noch lange kein Hindernis für die Realpolitik, es nicht zu tun. Wer die Macht hat, muss sich nicht um Moral, Religion oder Recht kümmern. Zu dieser Erkenntnis war schon Machiavelli gekommen und ein kurzer Blick auf die Ereignisse seiner Zeit, mussten Marlowe davon überzeugen, dass sie noch immer ihre Gültigkeit besaß. Edwards Tod entlarvte auf der Bühne den Mythos vom unantastbaren Herrscher dank Gottesgnaden so rücksichtslos, wie es der Tod Mary Stuarts in der Weltgeschichte getan hat. Im Sterben ist jeder gleich, egal welchen Status er im Leben gehabt haben mochte. Die Gewalt macht vor niemandem halt, nicht einmal vor den Erhabensten. Mit Edward II zeigt Marlowe, dass der Königsmord ein Mord wie jeder andere ist, denn: "Es ist ebenso böse einen Seifensieder zu töten, wie einen König, […]"11


Mortimer, Ian. 2005. “The Death of Edward II in Berkeley Castle.” English Historical Review 120 (5): 1175–1214. https://doi.org/10.1093/ehr/cei329.
———. 2006. “Sermons of Sodomy: A Reconsideration of Edward II’s Sodomitical Reputation.” In The Reign of Edward II, edited by Gwilym Dodd and Anthony Musson, 48–60. Woodbridge: York Medieval Press.
Orgel, Stephen. 1996. Impersonations: The Performance of Gender in Shakespeare’s England. Cambridge: Cambridge University Press.
Sade, Donatien Alphonse François Marquis de. 1998. Juliette. Die Vorteile des Lasters. 5. Auflage. Berlin: Ullstein.
Weir, Alison. 2005. Isabella: She-Wolf of France, Queen of England. London: Jonathan Cape.
Wickham, Glynne. 2002. Early English Stages 1300 to 1660: Volume Two 1576 to 1660, Part i. 2002nd ed. Vol. 2, Teil 1. London: Routledge.

  1. Mortimer (2005)↩︎
  2. Stewart (2006)↩︎
  3. Orgel (1996); Raman (1997); Hadfield (2009); Anderson (2014)↩︎
  4. Erne (2005)↩︎
  5. Mortimer (2006)↩︎
  6. Weir (2005)↩︎
  7. Lodine-Chaffey (2020)↩︎
  8. Wickham (2002), 30↩︎
  9. Ryan (1998/99)↩︎
  10. Lawrence (2000), 189↩︎
  11. Sade (1998), 213↩︎

Aktualisiert am 18.01.2023

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