The Massacre at Paris: With the Death of the Duke of Guise (Das Massaker zu Paris mit dem Tod des Herzogs von Guise) dürfte um 1590 entstanden sein. Es ist Christopher Marlowes erste Historie und schildert die Ereignisse im Zusammenhang mit der Bartholomäusnacht.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Wie alle Dramen Marlowes weist der erste erhaltene Druck weder ein Personenverzeichnis noch eine Akteinteilung auf. Aufgrund des korrumpierten Textzustands wird The Massacre at Paris nur in Szenen eingeteilt.
[Szene 1]
Der hugenottische Henri de Navarre hat soeben die katholische Marguerite de Valois, Schwester des französischen Königs Charles IX. in Paris geheiratet. Charles IX. und die Königinmutter, Caterina de' Medici, erwarten sich von der Heirat endlich Frieden zwischen Hugenotten und Katholiken. Admiral Coligny, der Führer der Hugenotten, der Fürst von Condé und Navarre sind sich jedoch bewusst, dass der mächtige Herzog von Guise alles daran setzen wird, diesen Frieden zu stören.
[Szene 2]
Der Guise verflucht die Hochzeit. Nachdem er von einem Apotheker ein Paar vergiftete Handschuhe verlangt hat, beauftragt er einen Soldaten Admiral de Coligny zu erschießen. In einem langen Monolog erklärt der Herzog, wie er mit Unterstützung von Spanien sowie dem Papst die Hugenotten vernichten und die Macht in Frankreich an sich reißen wird.
[Szene 3]
Der Apotheker übergibt Jeanne d’Albret, der Mutter von Henri de Navarre, die vergifteten Handschuhe. Sie riecht daran und stirbt. Als Coligny die Leiche wegbringen möchte, wird er von einer Kugel am Arm verletzt.
[Szene 4]
Auf Drängen seiner Mutter, des Herzogs von Anjou, seinem Bruder, und des Herzogs de Guise stimmt Charles XI. der Ermordung aller Hugenotten zu. In der Planungsphase des Massakers trifft die Nachricht vom Attentat auf Coligny ein. Damit er und seine Anhänger sich in Sicherheit wiegen, soll der König ihn besuchen.
[Szene 5]
Charles XI. besucht den verwundeten Coligny.
[Szene 6]
Guise lässt seinen Bruder den Herzog von Mayenne und etliche Gefolgsleute auf das Kreuz schwören. Der maskierte Anjou schließt sich ihnen an. Als erstes ermorden sie Coligny und werfen seine Leiche auf die Straße. Das Massaker beginnt.
[Szene 7]
Guise ersticht den Prediger Loreine.
[Szene 8]
Montsoreau tötet im Auftrag von Guise Seroun.
[Szene 9]
Kurz nachdem Talaeus seinen Freund den Philosophen Ramus gebeten hat zu fliehen, betreten Guise, du Maynne und Anjou dessen Zimmer. Es kommt zu einer philosophischen Debatte zwischen Ramus und Guise. Dann ersticht Anjou Ramus. Navarre erfährt von dem Massaker und konfrontiert Anjou damit. Dieser bestreitet daran teilgenommen zu haben. Navarre und Condé wollen den König aufsuchen.
[Szene 10]
Anjou erklärt zwei polnischen Fürsten, dass er die Wahl zum König von Polen akzeptiert, die Krone jedoch zurücklegen werden, falls sein Bruder Charles XI. ohne Thronfolger stirbt.
[Szene 11]
Zwei Soldaten streiten, was sie mit der Leiche von Coligny machen sollen. Die Königinmutter kommt in Begleitung von Guise und dessen Bruder, dem Kardinal. Caterina de' Medici macht sich Sorgen, weil Charles IX. zunehmend von Gewissensbissen gequält wird. Als der Kardinal berichtet, er habe gehört wie der König sich mit Navarre verbündet habe, um für die Hugenotten Rache zu üben, erklärt die Königinmutter, sie werde Charles XI. notfalls töten, damit ihr Lieblingssohn Anjou König von Frankreich werden kann.
[Szene 12]
Guise tötet einen Hugenotten.
[Szene 13]
Charles XI. stirbt. Caterina de' Medici schickt Épernon nach Polen, um Anjou zurück zu holen. Navarre und Plessis fliehen nach Navarra.
[Szene 14]
Bei der Krönung macht sich die Königinmutter Gedanken, da Anjou, nun Henri III., die Zeit nur mehr mit seinen Mignons verbringt, ohne sich um die Politik zu kümmern. Der Kardinal berichtet, sein Bruder Guise plane die Auslöschung Henri de Navarres und des Hauses Bourbon. Caterina de' Medici verspricht für den Fall, dass Henri III. den Plan nicht unterstütze, ihn durch seinen jüngeren Bruder ersetzen zu lassen.
[Szene 15]
Die Herzogin von Guise schreibt einen Brief an ihren Liebhaber Maugiron. Ihr Gatte entdeckt das Verhältnis.
[Szene 16]
Navarre und Bartas rüsten sich für den Krieg gegen Frankreich.
[Szene 17]
Henri III. macht Joyeuse, einen weiteren seiner Favoriten, zum General in der bevorstehenden Schlacht gegen Navarre. Guise ist darüber wenig erfreut, vor allem weil der König sich über ihn lustig macht, indem er vom Verhältnis der Herzogin von Guise und Maugiron erzählt. Im Abgang trifft der wütende Guise Maugiron, der sich den Ärger des Herzogs nicht erklären kann. Als Henri III. ihn aufklärt, ist Maugiron sofort bereit das Verhältnis zu beenden und sich mit dem Herzog zu versöhnen.
[Szene 18]
Joyeuse ist in der Schlacht von Coutras gefallen, Navarre hat gesiegt.
[Szene 19]
Ein Soldat empört sich, dass sein Dienstherr der Herzog von Guise zum Hahnrei gemacht wird und erschießt Maugiron. Nachdem Guise den Soldaten entlohnt hat, kommt es zu einem heftigen Streit mit Henri III. Der König und Épernon werfen Guise vor, nach der Krone zu trachten. Die nachfolgende Versöhnung ist trügerisch. Henri III. plant den Herzog zu töten.
[Szene 20]
Navarre unterrichtet Bartas, dass Guise eine Armee gegen Henri III. aufgestellt hat. Er schickt Plessis zum König mit der Nachricht, er werde ihn im Kampf gegen den Herzog unterstützen.
[Szene 21]
Ein Kapitän der Wache versichert sich, der Entschlossenheit der 3 Mörder den Herzog von Guise zu töten. Der König erkundigt sich, ob alles für die Tat vorbereitet ist. Henri III. empfängt Guise freundlich. Kaum ist der König gegangen, wird Guise von den Mördern erstochen. Henri III. und Épernon betrachten den toten Guise, als dessen Sohn hereinkommt. Der König lässt ihn verhaften und befiehlt die Ermordung des Kardinals. Caterina de' Medici ist entsetzt über die Tat. Sie verliert all ihren Lebenswillen.
[Szene 22]
Der Kardinal wird vom 1. Mörder erwürgt.
[Szene 23]
Der Herzog von Mayenne schwört Rache für Guise. Ein Mönch berichtete ihm, dass auch sein anderer Bruder, der Kardinal, tot ist. Der Mönch verspricht Henri III. zu töten.
[Szene 24]
Henri III. steht mit seiner Armee von Paris. Er dankt Navarre für dessen Unterstützung, als ein Bote in Gestalt eines Dominikanermönchs gemeldet wird. Während der König die Botschaft liest, sticht der Mönch auf ihn ein. Ein Soldat tötet den Dominikaner. Der verwundete König verlangt nach dem Englischen Agenten, der Elizabeth I. vom Attentat unterrichten soll. Sterbend verflucht Henri III. den Papst und ernennt Navarre zu seinem Nachfolger, der seinen Tod rächen möge. Unter Ehrenbezeugung aller Anwesenden wird der tote König hinausgetragen.
Text
Das Drama besteht aus 802 Sätzen mit insgesamt 10.663 Wörtern und einem Vokabular von 1.952 Wörtern.1; (Das Massacre leaf ist in dieser Statistik berücksichtigt.) 6 Wörter verwendete Marlowe zum ersten Mal in einer neuen Bedeutung, 3 Wörter wurden erstmals von ihm benutzt, 3 Wörter gebrauchte er in einer bis dahin unbekannten grammatischen Konstruktion und 2 Wörter kommen in dieser Bedeutung nur bei Marlowe vor.
Entstehung
Die Darstellung zeitgenössischer Ereignisse sollte die Datierung des Dramas eigentlich vereinfachen. Tatsächlich kann man nur sicher davon ausgehen, dass das Stück in der vorliegenden Form erst nach dem Attentat auf Henri III. am 1. August 1589 in Saint-Cloud entstanden ist. Eine genauere Datierung nach diesem Zeitpunkt obliegt der Interpretation des Textes. Der sterbende Henri III. erkennt in Navarre nicht nur seinen Nachfolger, sondern beauftragt ihn auch, seinen Tod zu rächen. Henri macht Papst Sixtus V. als Auftraggeber für seine Ermordung verantwortlich und verlangt von Navarre blutige Rache. Sixtus V. starb allerdings am 27. August 1590 in Rom eines natürlichen Todes. Ein Umstand, der vermuten lässt, dass Marlowe sein Drama vor dieser Zeit beendet hatte. Da der Wunsch nach Vergeltung wenig Sinn gehabt hätte, wenn der Papst bereits tot gewesen wäre.2
Eine andere Leseart favorisiert aus genau diesem Grund sowie der Berücksichtigung von Henslowes Aufzeichnungen zu The Massacre at Paris eine viel spätere Datierung.3 Demnach betrachtete Marlowe die tatsächlichen Ereignisse in Frankreich mit beispielloser Ironie. Die erste nachweisbare Aufführung fand am 9. Februar 1593 statt. Zwar kennzeichnete Henslowe das Stück als "ne", nur ist völlig unklar, ob er es damit wirklich als "neu" bezeichnete.4 Doch selbst wenn The Massacre at Paris erst 1593 entstanden wäre, die ironische Wirkung, die Marlowe hätte entfalten wollen, wäre nicht wirklich zum Tragen gekommen. Nach dem Tode Alençons hatte Henri III. Unterhändler nach Navarra geschickt, die über eine formelle Anerkennung Henris als Erbe des französischen Throns verhandeln sollte, so er konvertiert wäre, was von Navarre jedoch abgelehnt worden war. Die Konvertierung blieb zwar weiterhin im Gespräch, nahm allerdings nie konkrete Formen an – zumindest nicht zu Marlowes Lebzeiten. Navarre belagerte 1590 Paris, musste jedoch die Belagerung Ende August abbrechen, nachdem die Spanier aufseiten der Katholiken in den Bürgerkrieg eingriffen hatten. Erst im Juli 1593 konvertierte Navarre zum Katholizismus und seine Krönung zu Henri IV. erfolgte am 27. Februar 1594, der Einzug in Paris im Monat darauf und am 30. März anerkannte auch das Parlament den neuen König. Hätte Marlowe das alles bereits voraussehen können, falls er sein Drama 1593 geschrieben hätte? Selbst, wenn er über diesen Weitblick verfügt hätte, dem durchschnittlichen englischen Theaterpublikum wäre es doch recht schwergefallen, Marlowes ironische Absichten nachzuvollziehen. Diese wären erst Ende 1593 Anfang 1594 erkennbar geworden, nachdem Navarre offen bewiesen hatte, dass Religion keine Frage der inneren Überzeugung, sondern Mittel zum Zweck geworden war. Wahrscheinlich erkannte Henslowe die Ironie, die das Drama dank der politischen Ereignisse nun bot, und setzte das Stück wieder auf den Spielplan.5
Kaum ein Werk Marlowes weist so viele Parallelen zu Shakespeare auf. Die Forschung ist sich völlig uneins, ob die Verfasser der Textversion von Shakespeare borgten, oder dieser von Marlowe. Da zahlreiche Ähnlichkeiten aus Stücken stammen, die nach Marlowes Tod entstanden, helfen diese Analogien bei der Bestimmung der Entstehungszeit von The Massacre at Paris ebenso wenig weiter.
Ins Stationers' Register wurde das Drama nie eingetragen. Der früheste erhaltene Druck stammt von Edward Allde im Octavo-Format und ist undatiert. Wegen des schlechten Zustands des Textes wurde die Veröffentlichung mit den sogenannten "Bad Quatros" der Pembroke’s Men Anfang der 1590er Jahre in Verbindung gebracht. H. J. Oliver schlug zweier Parallelen zu Shakespeares Julius Caesar (1599) wegen eine Entstehungszeit um 1602 vor.6 Auch Robert A. H. Smith favorisiert dafür die Jahre zwischen 1599 und 1602.7
Es ist eindeutig, dass der vorliegende Text korrumpiert ist. Das Stück ist nur halb so lang wie ein durchschnittliches Drama der elisabethanischen Zeit. Es enthält zahlreiche Wiederholungen, metrische Unregelmäßigkeiten und nahezu wortwörtliche Übernahmen aus anderen Stücken. Daher nimmt man an, dass das Octavo eine Textrekonstruktion von einem oder mehreren Schauspielern ist.8 Trotz des Titels behandelt mehr als die Hälfte des Stücks die Regentschaft Henri III. und ist der Herzog von Guise die größte Rolle.9 Wahrscheinlich war das Drama sehr umfangreich. Bereits in der existierenden Form kann man in den ersten fünfhundert Zeilen zwanzig verschiedene Sprechrollen ausmachen. Nur sieben erhaltene Stücke aus der Zeit benötigen mehr.10 Eine Anspielung auf einen nicht mehr erhaltenen Dialog findet man bei Thomas Fuller, der 1650 in A Pisgah-Sight of Palestine schrieb: "I reasonably remember how one being asked in the Massacre of Paris, whether he was a Catholick or an Hugonite, answered he was a Physican."11 Ein weiterer Hinweis auf eine längere Fassung tauchte mit dem sogenannten Massacre leaf auf und sorgt seither für Kontroversen.
Quellen
Die französischen Religionskriege wurden nicht nur mit Schwert und Kanone ausgetragen, sondern auch mit der Feder. Hugenotten wie Katholiken produzierten zahlreiche Schriften. Wenngleich die Quellenlage für The Massacre at Paris sehr gut untersucht ist, bleibt zu bedenken, dass der Fülle des Materials wegen nie ganz geklärt werden wird, was Marlowe tatsächlich kannte und verwendete.12 Weiters ist der Gebrauch von Vorlagen zu berücksichtigen, von deren Existenz heute niemand mehr weiß, weil sie im Laufe der Zeit verloren gegangen sind. Letztlich kann bei der Verarbeitung zeitgenössischer Ereignisse Hörensagen als Quelle ebenfalls nicht ausgeschlossen werden.13
Für die ersten sechs Szenen sowie Teile von [Szene 8] des Dramas gilt De Furoribus Gallicis, das 1573 von Ernestus Varamandus veröffentlicht wurde, als Hauptquelle. Hinter dem Pseudonym wird der Hugenotte François Hotman vermutet.14 Er zählte zu den Monarchomachen. Diese Gruppe vertrat die Ansicht, dass sich die Monarchie zur Tyrannei entwickelt hatte und verlangte, dass die Souveränität zukünftig vom Volk ausgehe.15 Im Erscheinungsjahr kam bereits die Übersetzung A True an Plain Report of the Furious Outrages of France heraus, dessen Neudruck 1574 ohne Hinweis auf den ursprünglichen Autor als Buch X von The Three Parts of Commentaries, der englischen Fassung von Jean de Serres Commentariorum de statu religionis et reipublicae in regno Galliae, erschien.16 Auch für die übrigen Szenen finden sich Vorlagen in den unterschiedlichsten Pamphleten der damaligen Zeit,17 welche Marlowe in der von Simon Goulart herausgegeben Sammlung Mémoires de l’état de France sous Charles neuvieme (1576) zur Verfügung gestanden hätten.18 Vor allem durch die detaillierten Untersuchungen Paul Kochers wurde das Stück lange als Agitationswerk des Protestantismus angesehen. Tatsächlich stützte sich Marlowe auch auf katholische Schriften und selbst die Werke der französischen Hugenotten waren viel differenzierter, als es auf den ersten Blick scheint. Durch die fortwährenden Kriege in Italien wurde gegen Ende des 15. Jahrhundert die italienische Kultur in Frankreich modern. Außerdem kam es zu Hochzeiten zwischen dem französischen und italienischen Adel, die in der Ehe zwischen dem späteren Henri II. und Caterina de’ Medici gipfelten. Sie brachte zahlreiche Italiener mit an den Hof, wo sie ihrer heimatlichen Lebensart treu blieben.19 Gemeinsam mit der zunehmenden Unzufriedenheit über die Regentschaft kam es ab den 1570er Jahren in Frankreich zu einem Antiitalianismus, der konfessionsübergreifend war.
"Konspirative Machenschaften von Ausländern zielten auf eine Aushebelung der traditionellen rechtstaatlichen Prinzipien, eine Unterwanderung der moralischen Ordnung sowie auf die politische Entmachtung des alten Adels ab. Antiitalianismus ist immer auch Ausdruck einer generellen Hofkritik, die sich hier unter anderem gegen die Privilegierung von favoris und gegen die Italianisierung der französischen Sprache und der Hofkultur richtet."20
Vor diesem Hintergrund entstanden zwei Werke, die ebenfalls als Quelle für Marlowes Drama infrage kommen. Le Reveille-Matin des François, et leurs voisins, dessen erster Teil 1573 erschien, machte die Ansichten der Monarchomachen einem internationalen Publikum zugänglich. Die Angriffe richten sich gegen Charles IX., seine Mutter und seinen Bruder Anjou. Von einem hugenottischen Autorenkollektiv verfasst, wird das Haus Valois derart verdammt, dass sogar der Herzog von Guise als Herrscher Frankreichs vorzuziehen wäre! Obwohl Ausgaben mit einer Widmung an Elizabeth I. veröffentlicht wurden, gab es keine englische, allerdings eine lateinische Fassung.21 Die Schrift war in England dennoch bekannt ebenso wie der noch im Erscheinungsjahr ins Englische übersetzte Discours merveillieux de la vie, actions et deportements de Catherine de Médicis, Royne mere.22 Er wurde 1575 veröffentlicht und als Autor vermutet man Henri Estienne. Das Werk erfreute sich einer enormen Popularität und war der Anfang einer Jahrhunderte andauernden Dämonisierung Caterina de’ Medicis. Außerhalb der englischen Bühne stellte Anne Dowriche in ihrem Erzählgedicht The French History von 1589 die Ereignisse der Bartholomäusnacht dar. Auch sie dürfte Serres bzw. Hotman als Quelle benutzt haben. Vor allem ihre Darstellung von Caterina de' Medici könnte Marlowe beeinflusst haben.23
Eine nicht nur für The Massacre at Paris, sondern auch für Edward II interessante Entwicklung geschah Ende der 1580er Jahre. Jean Louis de Nogaret de La Valette, Herzog d’Épernon, war der Günstling Henri III., den die geballte Ablehnung der katholischen Pamphletisten traf. Mittlerweile war offen von homosexuellen Beziehungen zwischen dem König und seinen Mignons die Rede, wobei vor allem Parallelen zu Edward II. und Piers Gaveston gezogen wurden. Im Juli 1588 erschien Jean Bouchers Histoire tragique et memorable de Pierre de Gaverston, Gentilhomme Gascon, jadis mignon d’Edoüard 2. Roy d’Angleterre; tirée des Chroniques de Thomas Valsingham, et tournée de Latin en François, eine teilweise Übersetzung von Thomas Walsinghams Historia Anglicana.24 Boucher verglich Henri III. nicht direkt mit Edward II., doch die Leser taten es. Als Reaktion verfasste Épernon selbst die Repliqve à l’Antigauerston où responce faicte à l’histoire de Gauerston, die mittlerweile verloren gegangen ist.25 Darauf konterte die Heilige Liga wiederum mit der Responce à l’Antigaverson de Nogaret.
Boas war der Erste, der in The Massacre at Paris einen Vorläufer von Edward II erkannte.26 In beiden Dramen ist die Beziehung des Königs zu seinen Adeligen ein Grundthema.27 Im Herbst 1583 sah sich Francis Walsingham genötigt, James VI. von Schottland, dem voraussichtlichen Erben der englischen Krone, die Nachteile herrschaftlicher Günstlingswirtschaft vor Augen zu führen, wobei er Edward II. als Beispiel anführte.28 Der schottische König blieb davon Zeit seines Lebens unbeeindruckt. Wie bei Henri III. am französischen Hof kamen die meisten Favoriten von James I. nicht aus dem Hochadel. Ob Henri III. und James VI. tatsächlich intime Beziehungen mit ihren Höflingen unterhielten und diese die Politik beeinflussten, ist sekundär. Tatsache ist, dass gegen Ende des 16. Jahrhunderts zwei Herrscher von Ländern, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu England befanden, den Eindruck machten, als würden sie in ihren Entscheidungen dem Willen ihrer Favoriten folgen. Marlowe wies in beiden Stücken auf die Schwierigkeiten königlicher Günstlingswirtschaft hin, was beiden Dramen eine brisante Aktualität verlieh.29
Wirkungsgeschichte
Vom 9. Februar 1593 bis zum 5. Oktober 1594 wurde das Drama insgesamt 11 Mal gespielt, was Henslowe 17li 10s (ca. 5.964 €) einbrachte. Die Einnahme der ersten Vorstellung belief sich auf 3li 14s. Das ist die zweithöchste Summe für eine Aufführung, die Henslowe je verzeichnete.
The Massacre at Paris scheint in seiner Art einmalig gewesen zu sein. Das Interesse Englands an den französischen Geschehnissen war sehr groß. Nicht nur, dass ständig englische Soldaten die Insel verließen, um tatkräftig in die Ereignisse einzugreifen, gab es auch unzählige Flugblätter, Aufsätze, Balladen, etc., die die Engländer auf dem Laufenden hielten. Überhaupt waren Historien aus anderen Ländern in England populär.30 Dennoch ist Marlowes Stück die einzige uns bekannte englische Dramatisierung dieser zeitgenössischen Ereignisse, obwohl Henri de Navarre auch in den Werken von Spenser und Shakespeare in Erscheinung tritt.31 Ob das Drama erfolgreich war, lässt sich heute nicht mehr sagen. Die zeitgeschichtliche Thematik sowie das Verwenden typischer Feindbilder legen die Vermutung nahe, dass der Geschmack des Publikums zumindest partiell getroffen wurde. Jedenfalls war das Stück über die Grenzen bekannt.
1602 berichtete Sir Ralph Winwood, der englische Botschafter in Paris, als er gegen die Aufführung eines Theaterstücks, das als Beleidigung von Elizabeth I. aufgefasst wurde, protestierte:
"it was objected to me before the [French] Counsaile by some Standers by, that the Death of the Duke of Guise hath ben plaied at London, … and sence by some others that the Massacre of St. Bartholomews hath ben publickly acted, and this King represented upon the stage."32
Über Aufführungen nach 1594 ist nichts bekannt. Leider gibt Thomas Fuller in A Pisgah-Sight of Palestine nicht an, ob er das Stück gesehen oder gelesen hat. Trotzdem geht aus seiner Bemerkung hervor, dass das Drama in einer uns unbekannten Version, zumindest in den ersten zwei Dekaden des 17. Jahrhundert noch rezipiert wurde, denn Fuller kam erst 1608 zur Welt.
Man weiß von vier Dramen, die sich auch mit dem Herzog von Guise beschäftigten und nach Marlowes Tod geschrieben wurden. John Webster erwähnt sein Stück Guise in der Widmung von The Devil’s Law Case (1617 – 1619) an Thomas Finch. Dieses Werk ist verloren gegangen. (Der Hinweis darauf im Henslowe Diary wurde als Fälschung von Collier entlarvt.)33 Ebenfalls nicht erhalten ist Henry Shirleys The Duke of Guise, das 1653 ins Stationers' Register eingetragen wurde. The Duke of Guise von John Dryden und Nathaniel Lee (1682) und Massacre of Paris von Nathaniel Lee, das 1689 veröffentlicht, aber wahrscheinlich schon 1679 begonnen worden war, weisen keinerlei Verbindung zu Marlowe auf.34
1818 erschienen fast zeitgleich zwei voneinander unabhängige Ausgaben von The Massacre at Paris. Eine stammt von William Oxberry, die andere von einem anonymen Herausgeber, den N. W. Bawcutt 1971 als James Broughton identifizierte.35 Da nicht festzustellen war in welchem Monat Oxberry veröffentlicht worden war, ist nicht erwiesen, ob er oder Broughten das Stück als Erstes herausgaben.36
Abgesehen von Henslowe brachte die Amateurgruppe Yale Dramatic Association im Oktober 1940 die ersten bekannten Aufführungen zustande.37 Am 30. Jänner 1963 organisierte die Marlowe Society eine Vorstellung im Chanticleer Theatre in London.38 Zwar folgten weitere Produktionen, doch die Thematik sowie die verstümmelte Textfassung sprechen dagegen, dass aus The Massacre at Paris je wieder ein Publikumshit wird.
In der Forschung wurde das Werk bis ins 20. Jahrhundert als protestantische Propaganda und Epigone der hugenottischen Pamphletisten abgetan.39 Trotz des schlechten Textzustands lässt sich jedoch herauslesen, dass Marlowe mit den Quellen weitaus differenzierten umging und sein Blick auf die Ereignisse dem des zeitgenössischen, unbeteiligten aber informierten Beobachters entsprach.40 Das Einhergehen von Brutalität und Komik, die Angst vor Verunreinigung durch die bloße Anwesenheit eines Andersgläubigen sowie die enge Verbindung zwischen religiösem Ritus und Gewalt waren charakteristisch für die Religionskriege.41 All dies wird in dem Stück wiedergegeben, was es zu einem wertvolleren Zeitbild macht als lange angenommen. Die dramaturgischen Mängel erschweren zwar eine Theateraufführung, bergen hingegen für die neuen Medien interessante Möglichkeiten.42
Übersetzungen
Im deutschsprachigen Raum übersetzte erstmals Bernhard K. Tragelehn das Drama.43 Eine weitere Übersetzung stammt von Dieter Schamp, die jedoch erst 1999 in Buchform herauskam.44 Im Eigenverlag erschien 1982 die Übersetzung von Rolf Engelsing.45 Nicht im Druck erschienen ist Melanie Bächers Übersetzung, die um 2001 entstanden sein dürfte und nur über den Verlag Autorenagentur zu beziehen ist.
Vertonung
Am 18. Mai 2003 erlebte im Ronacher in Wien Wolfgang Mitterers Oper Massacre seine Uraufführung. Das Libretto stammt vom Komponisten und Stephan Müller, wobei auf den englischen Text zurückgegriffen wurde. Es ist jedoch keine Literaturoper.46 Das Auftragswerk der Wiener Festwochen ist für fünf Sänger und vier Tänzer sowie ein Ensemble von neun Instrumentalisten konzipiert. Der Regisseur der ersten Aufführung war Joachim Schlömer.
Audio
Bernhard Klaus Tragelehn führte Regie bei einem Hörspiel, das auf seiner Übersetzung des Dramas basiert. Es wurde erstmals am 27. März 1977 im Rundfunk der DDR gesendet. Mitwirkende waren unter anderem Ekkehard Schall, Jürgen Holtz, Hermann Beyer und Käthe Reichel.47
BBC Radio 3 sendete am 30. Mai 1993 The Massacre at Paris unter der Regie von Alan Drury mit Michael Earley, Timothy Walker, Jeremy Blake, Sally Dexter, Ben Thomas, u. a.
- Ule (1979)↩︎
- Hillman (2002)↩︎
- Briggs (1983)↩︎
- Frazer (1991)↩︎
- Hillman (2002)↩︎
- Marlowe (1968)↩︎
- Smith (1997)↩︎
- Marlowe (1998)↩︎
- Potter (1996)↩︎
- Voss (2001)↩︎
- Wilson (1951), 139↩︎
- Thomas and Tydeman (1994); Archibald (2021)↩︎
- Bakeless (1970); Briggs (1983)↩︎
- Kocher (1941)↩︎
- Garloff (2007)↩︎
- Kocher (1941)↩︎
- Kocher (1947)↩︎
- Ramel (1979)↩︎
- Berger (1990)↩︎
- Garloff (2007), 107↩︎
- Garloff (2007)↩︎
- Kocher (1941)↩︎
- Martin (1999)↩︎
- Crawford (2003)↩︎
- Le Roux (2001)↩︎
- Boas (1940)↩︎
- Ribner (1955)↩︎
- Marlowe (1994)↩︎
- Perry (2000)↩︎
- Ribner (1954)↩︎
- Voss (2001)↩︎
- Bakeless (1937), 22↩︎
- Henslowe (1961)↩︎
- Marlowe (2009)↩︎
- Bawcutt (1971)↩︎
- Marlowe (1998)↩︎
- Bakeless (1970)↩︎
- Marlowe (1998)↩︎
- Kocher (1941); Henderson (1956); Sanders (1968)↩︎
- Briggs (1983)↩︎
- Davis (1973)↩︎
- Galloway (1953); Poole (1998)↩︎
- Marlowe (1971)↩︎
- Marlowe (1999)↩︎
- Marlowe (1982)↩︎
- Baier (2003)↩︎
- Deutsches Rundfunkarchiv (2022)↩︎